Die Regentin (German Edition)
gewiss, wovon ihre innerliche Unruhe rührte – von Angst vor Befleckung oder der Frage, ob Aidan sie enttäuschen würde wie ihr Vater.
Der Schlaf kam nicht. Auch als die Gedanken lahmer flossen, sich von Aidan und von Thorgil lösten und was sie von ihnen zu erwarten hatte, wühlte etwas in ihrer Magengegend, eine Unruhe, ähnlich der, die sie empfunden hatte, da sie auf der See die Schiffe hatte kommen sehen.
Sie fuhr auf. Hatte sie nicht eben ein Geräusch gehört? Doch woher kam es? Vom Holz, das knackend in der Glut zerfiel?Vom Wind, der durch die Baumkronen rauschte? Von Schritten im Wald, die näher kamen?
Aidan hatte ihr erzählt, dass sie noch immer in der Nähe der Küste waren. Sie waren in den letzten Tagen nach Norden geritten, jedoch nicht ins Landesinnere.
»Aidan...«
Sie versuchte, so leise wie möglich zu reden, aber erschrak über den Klang der eigenen Stimme. Sie zitterte, quietschte.
»Aidan... ich habe etwas gehört...«
Zuerst dachte sie, sie hätte ihn nicht aufgeweckt und er würde weiterschlafen. Doch dann sprach er schlaftrunken: »Gewiss war es nur ein schlechter Traum.«
Sie legte sich wieder um, aber rollte dichter an ihn heran.
»Nein, es war kein Traum. Ich habe...«
Sein warmer Atem beruhigte sie.
»Hast du Angst?«, fragte er.
»Nein... nein, ich denke nicht«, gab sie hastig zurück. »Warum sollte ich? Ich habe doch die bösen Männer überlistet, die unser Kloster heimgesucht haben.«
»Du hast was?«
Er schmiegte sich an sie. Zumindest glaubte sie das. Vielleicht war sie selbst es, die den eigenen Leib immer stärker an den seinen presste. In jedem Fall half es. Schon kam ihr die Angst vor den Geräuschen der Nacht lächerlich vor, und ein Kichern entstieg ihrer Kehle, von dem sie nicht wusste, wem es galt: der Blöße, die sie sich gegeben hatte, indem sie ihn geweckt hatte, oder dem Umstand, dass sie so eng beieinanderlagen.
Es klang nicht mehr gepresst, sondern hell, doch es blieb ihr alsbald in der Kehle stecken.
Denn im nächsten Augenblick brach die Hölle los.
Der Überfall der Männer aus dem Norden kam diesmal überraschend. Sie hatten sich dem Lager von hinten genähert – im Rücken jenes Mannes, der die Feuerstelle bewachte und nun alsErster starb. Er war der Einzige, der sich gar nicht erst zu wehren versuchte. Sobald er die knackenden Geräusche nicht mehr den Tieren des Waldes zuordnete, sondern schleichende Schritte heraushörte, war ihm schon die Kehle aufgeschlitzt und ein vergebliches Luftschnappen sein letzter Laut. Hernach hockte er gekrümmt wie vorhin – nicht zur Seite gewälzt von der wirren Schlacht, die um ihn tobte und die seine blinden Augen nicht mehr schauen konnten.
Die anderen sieben Männer reagierten rascher als dieses erste Opfer – aber doch zu langsam. Wer immer sich regte, sich aus dem Schlaf aufrappelte, nach den Waffen griff, sah sich einer Übermacht aus Bogen, Speeren und Wurfschlingen gegenüber. Und wer sich gegen die ersten Angreifer noch zu wehren vermochte – brüllend und zornig –, ward von jener zweiten Front zu Fall gebracht, die im Dunkel des Geästs lauerte und einen Hagel an Pfeilen niederließ, der Helme knirschend zum Bersten brachte und manch Schild zerlöcherte.
Bathildis und Aidan vernahmen anfangs nur die Laute des schrecklichen Wütens; stockdunkel blieb es ansonsten hinter den ledernen Wänden des Zeltes, und kurz war es noch möglich, sich vorzugaukeln, dass wilde Tiere über das Lager hergefallen wären, keine wilden Menschen, dass die ächzenden Laute verhießen, man würde sich erfolgreich gegen sie wehren, anstatt unter ihren Waffen zu sterben.
Doch dann fiel unter einem heftigen Schlag – war es ein gefällter Toter, der es mitriss? – das Zelt in sich zusammen, und als Bathildis sich von den Lederschichten befreien konnte, die sie begraben hatten, verstellte kein tröstender Gedanke mehr das grauenhafte Töten.
Nie hatte sie Menschen sterben sehen, und die Leichname, die sie zu Gesicht bekommen hatte, waren die von alten Menschen gewesen – Mönche und Nonnen, die gelblich bleich den Odem ausgehaucht hatten, um ins Reich Gottes heimzugehen, die aufgebahrt wie Schlafende aussahen, manch einer lächelnd,manch einer mit verzerrtem Gesicht – in jedem Falle aber mit heilen Gliedern. Wo nun Streit- und Wurfäxte niedergingen, deren s-förmige Oberkante im schwachen Schein des Feuers und des Mondes silbern glitzerte, spritzte Blut auf, das von der Nacht schwarz gefärbt war; es fielen
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