Die Regentin (German Edition)
Häupter oder Hände, oder Leiber barsten einfach entzwei.
Nicht jeder starb sofort. Ein Mann ihres Vaters versuchte eigenhändig, den Speer, der ihn getroffen hatte, wieder aus der Brust zu ziehen, und scheiterte an dessen Widerhaken, der die Waffe nur noch schmerzender ins Fleisch trieb. Es waren keine gewöhnlich schrillen, helle Schreie, die er dabei ausstieß, sondern ein dumpfes, seelenloses Röhren, von dem Bathildis dachte, es brächte die ganze Erde zum Erzittern – bis sie erkannte, dass es die schweren Schritte der Angreifer waren, die den sumpfigen Waldboden beben ließen. Ja, schwer waren sie – denn die Männer, die da kamen, waren noch um ein Vieles größer gewachsen als ihr Vater Thorgil oder als Ricbert.
Ihre Gedanken kamen stoßweise wie ihr Atem.
Die Männer aus dem Norden.
Mit dem Schiff gekommen, um das Kloster zu überfallen.
Mit noch nicht gestillter Raubgier die Küste weitergezogen, um nun auf dieses Lager zu stoßen.
Wahrscheinlich hatten sie sie schon länger beobachtet und an der edlen Kleidung abgelesen, dass sich ein Angriff lohnte. Selbst für den Fall, dass keine Reichtümer mitgeschleppt wurden – kostbar waren schon allein die Waffen.
Bathildis murmelte etwas in Aidans Richtung; sie wusste später nicht mehr, was sie ihm sagte, denn die Worte verloren sich im Lärm, kaum traten sie über ihre Lippen. Ein wenig nährte das den Trug, sie wäre gar nicht hier, wäre so unsichtbar wie unverständlich, und als sie sich nach ihm umdrehte, weil keine Antwort kam, so hoffte sie ganz widersinnig, er möge sich aufgelöst haben und nicht hinter ihr hocken, zitternd vor Angst und trotz der kalten Nachtluft schweißbedeckt. Wenn auchnicht die eigene Stimme, so konnte sie doch das Klappern seiner Zähne hören – oder waren es die eigenen, die da aufeinanderschlugen?
Aidans Augen blickten starr, als wäre auch er schon tot. Sie folgte seinem Blick und sah da ihren Vater liegend. Zumindest vermeinte sie, es müsse Thorgil sein. Nur an Bart und Haaren konnte sie ihn erkennen, gewiss nicht an den Zügen, denn dort klaffte ein einziges schwarzes Loch.
Er hat sich in der Erde gewälzt, versuchte sie sich einzureden, er hat sich nur schmutzig gemacht – denn unmöglich war’s, sich vorzustellen, dass man sein Gesicht zu einem blutigen Brei geschlagen hatte.
Ja, er ist zu Boden gefallen, um sich tot zu stellen, aber in Wahrheit lebt er! Alle leben noch! Die schwarze, zähe Masse, die da auf ihnen klebt, ist Dreck, nicht Blut!
Sie zuckte zurück, ahnend, dass sie nie wieder etwas Freudvolles sehen und hören könnte, alles künftige Leben nur mehr ein farbloses Echo des nächtlichen Überfalls sein würde.
Sie wandte sich wieder Aidan zu, der zwar so bleich war wie ein Toter, aber noch heil an Leib und Seele.
»Weg...!«, stieß sie hervor. »Weg!«
Nun löste auch er seinen Blick von den Toten – war auch sein Vater Ricbert darunter? –, starrte sie an und versuchte schließlich, unter den gefallenen Zeltplanen nach irgendetwas zu graben. Seine Hände zitterten freilich zu stark, um energisch zuzupacken.
»Mein Schwert! Ich muss kämpfen!«, stöhnte er, gewiss, dass er damit dem Wunsch seines strengen Vaters folgte, aber zugleich so verzweifelt, als wäre alleine der Gedanke, sich gegen die mordenden Riesen zu erheben, tödlich.
Bathildis griff nach seiner Hand. Die ihre war so erstarrt, dass sie ihn kurz ruhig halten konnte, anstatt sein Beben zu verstärken.
»Komm mit mir, wir müssen uns verstecken.«
Trotz des grausigen Gebells des Todes, das sie von allen Seiten ankläffte, lichtete sich kurz seine Miene, grenzenlos erleichtert, dass ihm die Möglichkeit geschenkt war fortzulaufen, ohne zugleich ein Feigling zu sein.
»Ja, ich muss mit dir fliehen... ich muss dich beschützen«, stöhnte er.
Er rollte zur Seite, zog sie mit sich. Mühselig robbend näherten sie sich dem Ende der Lichtung, den Mund alsbald voll mit feuchter Erde und fauligem Laub. Bathildis hustete würgend.
»Still! Kein Laut!«, flüsterte sie Aidan zu, wiewohl er gewiss nicht danach trachtete, ein Geräusch zu zeugen.
Unwillkürlich schloss sie die Augen, robbte blind weiter, hoffte, dass niemand sie erspähen würde, wenn auch sie nichts sah. Immer noch hielt sie Aidans Hand, klammerte sich daran und ließ sich schließlich von ihm hochziehen, als sie den ersten Baumstamm erreichten. Als sie die Rinde verspürte, klammerte sie sich daran fest. Der wuchtige Stamm glich einem Menschen – stärker
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