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Die Regentin (German Edition)

Die Regentin (German Edition)

Titel: Die Regentin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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und vor allem größer gewachsen als die furchtbaren Nordmänner.
    Aidan indes blieb ratlos stehen; seine Kraft schien sich im Kriechen erschöpft zu haben. Sollten sie weiter in den Wald? Aber lauerten dort nicht jene, die die Pfeile abgeschossen hatten?
    Er war so klein, wie er da neben ihr stand, so klein und zart, gleichzeitig rührend und enttäuschend. Bathildis schürfte sich ihr Gesicht am Baumstamm an.
    Wenn Aidan nichts mehr zu tun einfiel, ging ihr durch den Kopf, dann sollte sie das Kommando übernehmen, wie im Kloster, als sie die aufgescheuchten Nonnen beruhigte und einen Plan entwickelte. Freilich hatte es im Kloster ein Versteck gegeben – hier nicht. Oder sollten sie sich im Gebüsch vergraben? Auf die Bäume klettern?
    Dort hinten standen sie noch dichter gewachsen...
    Unmöglich aber war’s, vom Baumstamm abzulassen, den sieeben umklammerte, einer Ertrinkenden gleich, der nur ein kleines Fleckchen sicherer Meeresgrund bleibt und die erleben muss, wie er unter ihren suchenden Zehenspitzen langsam schwindet.
    Sie musste jenes Fleckchen nicht willentlich aufgeben. Noch während Aidan zögernd neben ihr stand und seine zitternde Hand die ihre umschloss, packte sie eine fremde Pranke, zog sie zurück und schlug ihr in den Magen. Die Wucht, mit der die Faust sie traf, raubte ihr den letzten verbliebenen Atem, jagte einen so grässlichen Schmerz durch sie hindurch, dass sämtliche Gedanken versiegten, und als ihr Leib sich krümmte, sie niederging und in ihrem trockenen Mund der bittere Geschmack nach Galle aufstieg, wehrte sie sich nicht gegen die Ohnmacht, sondern ließ sich dankbar in die Dunkelheit fallen.
    Als Bathildis wieder zu sich kam, erwartete sie gleiche Schwärze, in die sie sich geflüchtet hatte. Sie wusste anfangs nicht, ob sie tatsächlich die Augen aufgerissen hatte oder noch in den Fängen eines bedrohlichen Traums gehalten wurde. Vage war er, gesichtslos; er kündete vom Geschehenen nicht in klaren Bildern, sondern nur als Ahnung von Grauen und Tod, der sie sich nicht stellen wollte.
    Weil sie nichts sah und ihre Augen sich nur schleppend ans Dunkle gewöhnten, tat sie anfangs nichts anderes, als zu lauschen – auf den eigenen Atem, der rasselnd kam... und weh tat. Es fehlte nicht an Luft, doch jedes Mal, wenn sie einen Zug tat, so fuhr ein grässlicher Schmerz von der Leibesmitte in sämtliche Glieder.
    Geschlagen.
    Ich wurde in den Bauch geschlagen, ging ihr durch den Kopf.
    Erschaudernd schlug sie die Hände vors Gesicht, als erwarte sie dort Entstellung, und war erleichtert, dass sie vertraute Züge erfühlte – Nase, Mund, Augen waren heil. Erst jetzt versuchtesie sich aufzurichten, um alsbald freilich zu stocken. Da oben – war da nicht eine Decke zu erspähen? Senkte sie sich nicht bedrohlich und viel zu niedrig auf sie hinab? Und roch es vielleicht nur darum nach nassem Holz, weil sie in eine Kiste aus eben solchem gesperrt war?
    Aufseufzend ließ sie sich wieder fallen. Lauter als der Schmerz in ihrem Bauch rumorte der Schrecken, dass sie auf engstem Raume festgehalten war. Nicht das Gefühl von Enge bestürzte am meisten, sondern die Ahnung: Ich bin allein. Ich bin ganz allein auf dieser Welt. Es gibt niemanden mehr... nur mich.
    Sie versuchte, ruhig zu atmen, um das Pochen ihres Herzens zu beschwichtigen, und war ihm dennoch ausgeliefert, wie es unerträglich schnell ihren Leib durchzuckte, viel mehr Tempo und Kraft hineinpumpte, als sie in jenem finsteren, engen Raum ausleben konnte.
    Schnell schloss sie wieder die Augen, flüchtete sich zurück in die Schwärze. Wohltuende Schwärze. Als triebe sie in kleinem Boot auf hoher See, von plätschernden Wellen geleitet, die aufund niederwogten. Sie gab sich ganz dem sanften Rhythmus hin, regelmäßig und beschwichtigend – nur plötzlich tönte mitten drinnen ein dumpfes Knirschen, so laut, als würde jenes Boot in der Mitte brechen.
    Sie schrie auf, schrill und hoch. Wiewohl vom heftigen Laut erschrocken, war ihr die eigene Stimme doch vertraut – vor allem aber stieß sie auf Antwort.
    »Bathildis? Bist du wach?«, tönte es aus dem Dunkeln.
    Sie seufzte erleichtert, und der Schmerz unterhalb der Rippen ebbte ab.
    Nicht alleine. Nicht alleine. Nicht alleine.
    »O Aidan«, murmelte sie. »O Aidan...«
    Er saß nicht weit von ihr, gekrümmt wie sie. Obgleich sie von seinem Gesicht nicht mehr erspähte als Konturen, nahm sie wahr, dass es von schwarzen Flecken übersät war. Sie hoffte, dass es Dreck wäre – kein

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