Die Regentin (German Edition)
sagte die Bauersfrau. »Aber wenn mein Mann kommt, so verrate ihm bloß nicht, dass du Wein mit dir führst. Kann nicht gebrauchen, dass er sich volllaufen lässt. Ein falsches Wort, und du kannst im Regen ersaufen!«
Wieder nickte Sicho mürrisch.
Zu Bathildis’ Erleichterung bot die Bäuerin ihnen nichts von den verdorbenen Speisen an, sondern schüttelte die Kinder ab, um nach draußen zu treten – zuerst zu einem kleinen Pfahlbau, der als Speicher für Getreide und Heu diente, dann zum Grubenhaus, wo mit Pech abgedichtete Vorratsfässer lagerten.
Sie ging schwerfällig, das Wohnen im ständig feuchten Haus schien ihrem Rücken nicht gutzutun. Eines der Kinder plärrte, kaum dass es nicht mehr an ihrem Rock hing, die anderen blickten hohlwangig nach, wie sie da eingelegten Mangold und Kohlholte, getrocknete Kirschen und einen Leib Roggenbrot, der halbwegs frisch zu sein schien.
Es war nicht gewiss, woher sie all das hatte, denn der Garten rund um das Haus war verwahrlost. Bathildis war es gleich. Sie ließ sich in der Nähe der Feuerstelle nieder und streckte die müden Glieder.
Kaum hörte sie noch, dass das eine Kind weiterplärrte und die Alte mit Sicho schwatzte. Wiewohl sie der fränkischen Sprache ein wenig mächtig geworden war, vernahm sie nur Bruchstücke der Rede. Um die Kirche ging es, die jenes Dorf bis vor kurzem noch besessen hätte, doch dann wäre der Pfarrer gestorben, und seitdem würde kein Gottesdienst mehr abgehalten, was bedeutete, dass die Ansammlung der Gehöfte nicht länger den Status eines »Vicus« hätte und dass darum die Steuern willkürlich festgesetzt würden. O gute alte Zeiten, da die Menschen sich hier ihres Lebens erfreut hätten, weil sie genügend Ernte einbrachten, um nicht nur davon zu leben, sondern sich zudem ein kleines Vermögen anzusparen. Doch der Niedergang hätte vor fünfzehn Jahren begonnen, noch zu Lebzeiten von König Dagobert, als jener nicht weit von hier eine Brücke errichten und sämtliche Bauern der Umgebung für die Arbeit hatte kommen lassen. Ohne Lohn mussten sie für den König schuften, die eigenen Felder vernachlässigen, und wer immer sich zu weigern wagte, dem ward alsbald die Zunge rausgerissen, auf dass er keinen Widerstand anstacheln konnte, manchem wurde gar der Schädel eingeschlagen.
Nun, mittlerweile hätte man Ruhe vor dem König; Dagobert lebte längst nicht mehr, sein Sohn Chlodwig war ihm auf den Thron gefolgt... und doch: Von jener Zeit hätten sich die Menschen nicht wieder erholt.
Die Alte klagte in einem fort, jedoch mit gleichgültiger Stimme, als hätte sie längst herausgefunden, dass sich Verzweiflung nicht lohnte.
Dieses Jahr wäre die Ernte sehr schlecht gewesen, das Feldwar ausgelaugt, im nächsten Jahre müsse man daraus eine Wiese machen und woanders anbauen, und wie sollte man dann den Winter überstehen? Nur mit den wilden Früchten, die man im Sommer pflückte?
Sicho gab keine Antwort, sah kaum zu, wie die Alte einen Kessel aus Metall über der Feuerstelle aufhängte, darin aus dem Gemüse eine Brühe kochte und diese mit Bohnenkraut und Petersilie würzte.
»Hast du etwas gegen Zahnschmerzen?«, maulte er schließlich. »Mir ist, als ob ein Haufen Würmer in meinem Maul hockt und dort sämtliches Fleisch zerfrisst.«
Die Alte lachte. In ihrem eigenen Mund gab es keinen einzigen Zahn mehr.
»Hast wohl zu viel Honig gegessen!«
»Kannst du mir was geben oder nicht?«
Die Bäuerin nahm ein bläulich verfärbtes Kraut von der Wand, es sah aus wie ein in Asche getauchter Zweig.
»Musst daran nagen!«, befahl sie ihm.
Erst jetzt schien ihr Bathildis aufzufallen.
»Wer bist du eigentlich, Mädchen? Hast mir noch keinen Namen gesagt!«
»Bathildis«, murmelte sie schwach.
»Dein Weib, Kaufmann?«, fragte sie an Sicho gewandt.
»Gewiss nicht!«, murrte jener kauend, als wäre es eine Beleidigung, wenn er als schmerzverzerrter, krätziger Alter ein junges Mädchen zur Frau hätte.
»Kannst neben dem Herd schlafen. Und du, Kaufmann, liegst neben mir, meinem Mann und den Kindern auf der Schlafstätte. Nicht dass ihr mir Unzucht treibt!«
Sie lachte laut und schrill. Sicho verzerrte schmerzlich sein Maul. Bathildis aber senkte den Kopf und spürte, wie sie rot wurde.
Sie sieht es mir an, durchfuhr es sie. Sie sieht es mir tatsächlich an.
Die Flucht war ihr so leichtgefallen – und hatte so schmählich geendet.
Sie nutzte die Gelegenheit, als Sicho sie am Stand alleine ließ, um auf dem Markt nach einem
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