Die Regentin (German Edition)
begafften sie mit geöffneten Mündern die Kamele der syrischen und griechischen Händler.
Sicho hatte immer noch Schwierigkeiten zu sprechen mit seinem geschwollenen Maul. Bathildis musste an seiner Stelle laut ihre Ware ausrufen – ein Halbmaß Wein zum Preis eines Drittelsolidus oder für einen Scheffel Getreide.
Selten hatte sie ihre Stimme in den letzten Wochen gebraucht. Nie war auch nur ein Wort der Klage über ihre Lippen gekommen. Doch nun, da sie die paar Brocken fränkischer Sprache gebrauchte, die sie beim Zusammensein mit Sicho gelernt hatte, war ihr, als würde sie alles herausschreien: Dass sie mehr verdiente, als mit dem mürrischen Sicho durch fremde Landen zu ziehen. Dass sie, einer Sklavin gleichend, viel mehr war als eine Sklavin. Dass sie mit aller Macht kämpfen musste – darum, sich zu befreien, heimzukehren, Aidan wiederzufinden.
Der Name rührte an den verborgenen Schmerz. Diesmal verneinte sie ihn nicht, sondern ließ sich davon bestärken, einen Entschluss zu fassen – den Entschluss, von Sicho zu fliehen. Und damit begann das Unheil...
»Wir müssen Rast machen!«, knurrte Sicho, der jetzt endlich erkannte, dass das Scheibenrad auf jener unebenen, rutschigen Straße jeden Augenblick zu brechen drohte. »Dort vorne steigt Rauch auf. ’s ist gewiss ein Dorf.«
Bathildis schreckte aus ihren Gedanken hoch. Sie hob das Gesicht, das unter dem zotteligen, nassen Haar verborgen war, und erspähte tatsächlich eine Rauchsäule, die in den grauenHimmel stieg. Die Regentropfen, gerade noch spitze Nadeln, die der Wind in ihren Körper trieb, klatschten nunmehr weich von oben herab auf ihren durchnässten Kopf. Nun erst, da kein Fortkommen mehr war, bemerkte sie, wie sehr sie fror. Die Zehen des einen Fußes hatten ein Loch durch den Lederfetzen, der darum gebunden war, gebohrt, und wann immer sie auftrat, so quoll der Matsch durch die schmalen Spalten und häufte sich am Rist.
»Wird man uns willkommen heißen?«
Seit dem Schrecklichen vermied sie, mit ihm zu reden – doch diese Frage deuchte sie dringlich. Sicho war knauserig und zahlte ungern für einen bequemen Aufenthalt. Oft hatten sie in Felsenhöhlen geschlafen, hatten aus Steinen eine Bank geformt und sich dort ohne Federbetten und Matten niedergelassen, einzig von der Kleidung gewärmt, die sie auch des Tags am Leib trugen.
Sicho antwortete nicht, sondern brummte nur. Schon gestern hatte er sich der Frage verweigert, wo genau sie sich aufhielten, welche Stadt am nächsten war. Sie wusste nichts weiter, als dass sie von Saint-Denis aus Richtung Westen gezogen waren.
»Mach schon!«, schimpfte er lediglich und ließ offen, ob er damit den Ochsen meinte, der sich wieder einmal bockig stellte, oder Bathildis.
Wenig später erreichten sie das Dorf, das sich als eine Gruppe von Einzelgehöften erwies, welche nicht aus Stein oder Holz, sondern nur aus Flechtwerk gebaut und mit Lehm verschmiert worden waren, nicht mit Holzschindeln gedeckt, sondern mit Stroh, das, regennass, die Farbe von verfaulten Birnen hatte. Der Regen tropfte ins Innere, wo es vom gestampften Lehmboden aus feucht dampfte. So zumindest in jenem Haus, in dem sie nach zwei vergeblichen Versuchen eingelassen worden waren. Es war das ärmlichste von allen. Weder stand darum ein Zaun wie bei den anderen, mit Flechtwerk stabilisiert, mit Weidenruten zusammengehalten und einem erwachsenen Mann biszur Brust reichend, noch gab es außer der ebenerdigen Kammer einen Dachboden. Die Schlafplätze befanden sich stattdessen im Hauptraum. Jener war zwar mit Teppichen ausgelegt, diese jedoch waren feucht und schimmlig. Die Feuerstelle, auf einer Unterlage aus flachem Stein errichtet, verhieß nicht Wärme, sondern nur beißenden Rauch.
»Könnt gerne hier schlafen, wenn du mir Getreide gibst«, sagte die Bäuerin, die ihnen geöffnet hatte und säuerlich nach Schweiß stank; um sie herum bildeten verrotzte Kinder, hohlwangig und ausdruckslos, einen Kreis, an ihrem Rock hängend und aneinander. »’s kommt der Winter, ich kann ihn schon riechen. Und dann gibt’s kaum mehr Brot.«
Sicho nickte mürrisch.
»Und wir brauchen was zu essen«, brummte er.
Bathildis knurrte der Magen, doch der Blick auf die Vorräte, die wie Geschirr, Sicheln und Pflugmesser (fast alles aus Holz, nur wenig aus Eisen) an Haken an den Wänden hingen, war wenig verheißungsvoll. Das Stück Schinken glich einer verwesten Hand, das Brot war grau vom Schimmel, das gedörrte Obst schon schwarz.
»Gut«,
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