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Die Regentin (German Edition)

Die Regentin (German Edition)

Titel: Die Regentin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Heilmittel Ausschau zu halten. Sie ließ den Stand einfach zurück und mischte sich unter die Menschenmenge. Keiner zollte ihr Interesse. Sie ging mit geducktem Kopf, achtete darauf, dass sie mit niemandem zusammenstieß, und hatte alsbald das Gewühle verlassen.
    Im ersten Augenblick fiel es ihr schwer zu glauben, dass es so einfach war fortzulaufen. Warum hatte sie es nicht früher getan, warum sich nicht eher die Macht über die eigenen Entscheidungen zurückerobert?
    Sie erkannte den Grund dafür nur allzu rasch. Denn Freiheit war ein erbärmlich billiges Gut, war sie nicht verbunden mit anderen, die sie erst lebenswert machten: Geld, Essen, Kleidung.
    Sie hatte nicht mehr als das, was sie auf dem Leib trug, mutterseelenallein in einem Lande, dessen Sprache sie nur in einzelnen Brocken beherrschte, ohne helfende Hand, die ihr den Weg in die Heimat hätte weisen können. Keine Fessel, die Sicho ihr hätte anlegen können, hätte sie mehr bei ihm gehalten als die Stunden, die folgten: Sie strich ratlos durch die Gassen, da ward sie schon von Bettlern verscheucht, die Angst hatten, das junge Mädchen können ihnen den Verdienst streitig machen. Sie keiften fremde Worte, schlugen mit Krücken nach ihr und spuckten ihr Eiter nach. Sie eilte hinfort, mehr und mehr verängstigt, weil es immer menschenleerer wurde... War hier, in den engen Gassen nicht gerade mit jenem Diebespack zu rechnen, vor dem Sicho sich stets gefürchtet hatte? Wer würde für sie einstehen, griffe man mit dreckigen Händen nach ihr? Und müsste sie nicht selbst zur Räuberin verkommen, um jemals heimzukehren?
    Sie drückte sich vor dem Gedanken, indem sie sich in einer stillen Ecke – es war dies in der Nähe einer Kirche – niederließ und dort einschlief. Als sie wieder erwachte, war sie beinaheerfroren. Der Boden war mit Raureif überzogen, der im Licht des heraufdämmernden Morgens verlogen glitzerte, als wären Hunderte von kostbaren Glasschalen zerbrochen, um ihr nun die Füße aufzuschlitzen. Zum ersten Mal gewahrte sie, dass der Sommer vorüber war, das gelbe Laub erbleicht, der blaue Himmel ergraut, und auch der pralle Lebensmut von gestern schien fahl und kraftlos geworden.
    Schon jetzt überdachte sie, zu Sicho zurückzukehren. Erst gegen Mittag rang sie sich tatsächlich dazu durch, noch mehr entmutigt von einem Gespräch mit einem Handwerker, welcher Holzgriffe schnitzte. Sie war fröstelnd an die Ränder des Marktes zurückgekehrt, wo die Menschen gerade in einem kleinen Kreis standen und ein lustiges Schauspiel bestaunten, das sich in ihrer Mitte zutrug: Zwei Ringer kämpften gegeneinander, und auf den Sieger wurden Wetten abgegeben. Dass hier nicht nur mit Handelsgut Geld zu verdienen war, sondern mit Unterhaltung, zog auch andere an: Seiltänzer und Gaukler, Pantomimen Und Flötisten.
    Bathildis war für diese kunstvollen Darbietungen blind, doch in dem Getümmel hörte sie plötzlich einen Mann in jener Sprache reden, die sie von klein auf gelernt hatte. Sie näherte sich ihm vorsichtig, erfragte, warum er des Angelsächsischen kundig sei. Er lachte und gab sich stolz als einer zu erkennen, der durch sämtliche Lande Europas gezogen war. Er war kein fahrender Händler wie Sicho, sondern ein fahrender Zimmermann, der stets dort blieb, wo es Arbeit gab.
    »Kann ich Euch begleiten?«, fragte Bathildis.
    Erst lachte er, dann musterte er lange ihre dürr gewordene Gestalt. »Mein Weib ist letztes Jahr gestorben, ich bräuchte schon ein neues...«, meinte er dann nachdenklich. »Aber deine Hände sind nicht kräftig genug!«
    »Hast du einen Bissen Brot für mich?«
    »Was brächte es mir, würde ich dir einen geben?«, fragte er zurück, reckte seinen Kopf, um sie noch genauer zu mustern,und hob unwillkürlich seine schwielige Hand, um ihre Wangen zu betasten.
    Sie zuckte zurück. »Fass mich nicht an!«
    Er lachte zischend. »Und mit so einer soll ich mein Brot teilen?«
    Niedergeschlagen schlich sie fort und blickte der traurigen Wahrheit erstmals unverhohlen ins Auge. Wer immer ihr auch helfen würde, täte es gewiss nur zu dem Preis, dass sie an seiner Seite nicht weniger Sklavin wäre als in Sichos Gegenwart.
    Sie strich weiter auf dem Markt umher; beim Geruch von Gerstenbrot zog sich ihr Magen schmerzhaft zusammen, beim Geruch von dem viel selteneren und teuren Weizenbrot noch viel mehr.
    Am Ende schien der Zufall ihre Schritte zu Sicho zurückzuleiten, so zumindest sagte sie es sich. In Wahrheit war es die schlichte Not.
    Er

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