Die Regentin (German Edition)
sie weiterhin an. »Ist es denn nicht so in diesem Lande, dass die Vermögenden gerne sämtliche ihrer Geschäfte aufgeschrieben haben wollen? Nun, kaufst du sie, dann musst du dir diese Arbeit nicht selbst machen und auch keinen Kopisten bezahlen.«
Bathildis wusste nicht, was Sicho am Ende überzeugte. Letztlich hatte er in den Kauf eingewilligt, und Answin hatte ihm Bathildis übergeben, immer noch mit dem Strick um den Hals, der sich schmerzhaft in ihre Haut einschnitt, als Sicho daran zog. Schon damals hatte sie begriffen, dass er ein grober Mann war, von dem nicht mehr Mitleid zu erwarten war als von Bruder Answin. Freilich hatte sie ihn anfangs nur gefürchtet, war stets bemüht gewesen, seinen Schlägen zu entgehen und seinen Zorn zu meiden. Erst später...
Das Rad knirschte bedrohlich. Sicho schlug die Augen auf und schnaubte unwillig.
Gleich wird die Achse brechen!, dachte Bathildis mit zusammengekniffenen Lippen, erstaunt, dass da überhaupt noch Wut in ihr verblieben war, die sich nun unter der Schwermut regte. Dann rollst du gemeinsam mit den Weinfässern im Dreck! Du hättest es verdient, darin zu ersaufen!
Ja, anfangs hatte sie nur Angst vor ihm gehabt; ihr Geist war noch rege gewesen und hatte die Tage gezählt. Doch dann war das Schreckliche geschehen, ihr Hoffen im mühseligen Alltag zerronnen...
Seitdem hasste sie Sicho, wenn sie denn nicht zu kraftlos war für solch heftiges Gefühl. Und selbst jetzt, da sie im Schlamm feststeckten und ihr einziges Trachten sein sollte, seine Schläge zu vermeiden, vermochte sie den Grund dieses Hasses nicht zu vergessen...
Es hatte im Oktober begonnen, am neunten Tag des Monats, da in Saint-Denis – nicht weit von Paris – wie jedes Jahr ein großer Markt stattfand.
Auch Sicho zog dorthin, anfangs gutlaunig, weil sich von jenem Ereignis außergewöhnlicher Verkauf erhoffen ließ, später gequält, weil der juckende Ausschlag schlimmer war als sonst und die Zahnschmerzen noch dumpfer. Stets war er wortkarg gewesen, doch heute brachte er ob des Wehs nicht einmal ein-zelneSilben heraus; selbst ein vorsichtiger Bissen Brot ward ihm bitter bestraft. Mit einem lauten Schrei warf er es von sich, und als Bathildis sich danach bückte, es an seiner statt aufzuessen, ließ sie es lieber sein, als sie Spuren von Blut und Eiter darauf entdeckte.
Nun, es störte sie nicht, dass er nicht sprach – an jenem Tag, da sie nicht länger auf einsamen Straßen unterwegs waren, sondern mit jedem Schritt ihre Umgebung belebter und lauter und farbenfroher wurde, war sie ganz mit sich selbst beschäftigt. Es deuchte sie, als würde sie aus einem langen Alp erwachen und erstmals wieder erkennen, dass sie auf schöner Erde wanderte und nicht im endlosen Jammertal.
Bis dahin hatte sie ihr Leben wie eine fremde, unergründliche Last getragen, so wie der Ochse sein Joch. Sie hatte zwar alles mit regem Blick wahrgenommen, aber nur wenig gespürt – vor allem nicht den Schmerz, der in ihr wucherte, seitdem man sie von Aidan fortgerissen hatte. Sie wusste, dass dieser Schmerz da war, aber sie sah sich die Wunde nicht an.
Erst in Saint-Denis kam sie zu sich, und je verdrossener Sicho wurde, desto lebendiger wurde ihr Blick – nicht aus purer Notwendigkeit wie bisher, sondern aus echter Neugierde. Zum ersten Mal nach langer Zeit sah sie in andere Gesichter als schmerzverzerrte, sah Männer, Frauen und Kinder, deren Mienen so leuchtend und vertrauensselig waren, als wäre es spaßig und freudvoll zu leben. Während das Treiben schon in der Nähe des Marktes bunter und schneller und quirliger wurde, kam Bathildis im eigentlichen Zentrum, wo es wie in einem Bienenschwarm summte und brummte, kaum mit dem Schauen nach.
Da waren Waffenschmiede, die silber verzierte Lanzen und Wehrgehänge verkauften, Schwerter aus Eisen und mit prächtigen Einlagen aus Almandin. Da waren Töpfer, die rostrote Schalen feilboten, Kammmacher, die neben den Kämmen auch Haargebinde fertigten, und Goldschmiede, die Armbänder und Broschen anpriesen, Ohrringe und Ketten mit funkelnden An-hängern.Mancher von ihnen hatte ein Weib, das obendrein Perlen aus Glasbruch verkaufte oder edle Becher aus Glas oder Bronze, Handgelenkringe und Schnallen.
Dort wieherte ein Pferd, dem der Sattelmacher neues Zaumzeug anlegte, hier konnte man beim Münzmeister Naturalien gegen Geld eintauschen. Dort sprangen ein paar Kinder munter um Marmorsarkophage, in deren Fertigung der Steinmetz all sein Können gelegt hatte, anderswo
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