Die Regentin (German Edition)
lachte meine Mutter, laut und bitter, obwohl’s ihrem Leib so schrecklich weh tut, wenn sie laut redet oder eben lacht. ›Was kann mir denn ein Mann antun, der schon verwest ist?‹, hat sie gefragt. Und weißt du, was dann geschehen ist?«
Bathildis’ Augen waren starr auf den Webstuhl gerichtet. Gertrude freilich wartete nicht auf Antwort.
»Nun«, fuhr sie schon fort, »mein Vater hat Furseus’ Grab öffnen lassen, und dort lag sein Leichnam unverwest, und als meine Mutter ihn erblickte, hat sie für dreißig Tage das Augenlicht verloren.«
Sie nickte bekräftigend zu ihren Worten.
»Besser, du gehst jetzt, bevor sie dich entdeckt!«, murmelte Bathildis.
Später wusste sie nicht mehr, wie sie das Mädchen zu jener Stunde wieder losgeworden war. Fest stand, dass es viel zu bald zurückkehrte, um ihr die Ohren vollzureden und sie aufzuhalten – auch dann, wenn Bathildis nicht mit der Bereitung von Tuch beauftragt war, sondern mit anderen Tätigkeiten, die die Weiber zu verrichten hatten: die Herstellung von Seifen, das Brauen von Met, die Bearbeitung von Fellen.
Anfangs fand sie Gertrude nur absonderlich, später war sie ihr lästig – zuletzt hatte sie sich so ans Geplapper gewöhnt, dass sie Nutzen daraus zog. Während sie bei den ersten Malen zwar den Worten gelauscht, sie aber nicht wirklich verstanden und gedeutet hatte, fügte sie nach einigen Wochen Geschichte an Geschichte, erkannte Zusammenhänge, lernte von dem fremden Land, in dem sie lebte, von den Gebräuchen und von alldem, was sich fernab von Küche und Hof und Ställen und Werkstätten zutrug.
In den ersten Tagen war sie am Abend stets erschöpft an die Feuerstelle gesunken und eingeschlafen – mit der Zeit aber ge wöhntesich der geschundene Leib an all die Schufterei. Dann lag sie wach, ließ sich Gertrudes Worte durch den Kopf gehen und prägte sich alles ein, was sie erfahren hatte. Manchmal hielt sie das über Stunden wach, und wiewohl ihre Glieder schwer waren, war sie froh darüber, dass Seele und Gedanken sich – trotz all dem Schlimmen, was ihr geschehen war – regten und Neugierde zeigten.
In einer dieser Nächte fasste sie einen Entschluss.
Ich darf mich von der Arbeit nicht erdrücken lassen, entschied sie. Ich muss meinen Geist fördern. Ich muss dieselbe bleiben, als die mich Aidan kannte.
Sie setzte sich auf, nahm einen Zweig Reisig und schrieb damit einzelne Wörter in die Asche, die den Boden rund um die Feuerstelle bedeckte. Fast war sie erstaunt, es noch zu beherrschen, doch als sie fortfuhr, wurde ihr das Tun selbstverständlich, und sie dankte es Gertrude, dass jene die Lust nicht verlor, auf die fremdländische Sklavin einzuschwatzen.
Von dieser Stunde an schrieb sie jeden Abend in die Asche, Briefe an Aidan, die jenen nie erreichen würden und die sie doch Wort für Wort in ihrem Herzen bewahrte. So wurden die Stunden seltener, da sie vor Erschöpfung weinte oder an nichts anderes denken konnte als an ihre geschundenen Glieder.
Geliebter Aidan,
ich lebe nun in einem Land, welches Francia heißt und von einem König aus dem Geschlecht der Merowinger regiert wird, dessen Name Chlodwig II. ist. Das Reich der Merowinger ist eigentlich noch viel größer als dieses Land, doch ist es bei diesem Geschlecht Sitte, dass – immer wenn ein König stirbt – das Erbe auf sämtliche Söhne aufgeteilt wird. Sind es derer viele, so kommt’s, dass jeder Einzelne nur kleine Provinzen regiert.
Chlodwigs Vater – es war dies Dagobert, der (ohne Bruder) Francia ganz allein beherrschte – hatte der Söhne zwei, was bedeutete, dass Chlodwig jenen Teil bekam, welcher Neustrien heißt, und obendrein Burgund, sein Bruder Sigibert aber das übrige Land, welches Austrasien genannt wird. Die Hauptstadt von Neustrien ist Paris, doch selten nur kommt es vor, dass der König an einer Stätte verweilt. Ohne Unterlass zieht er durchs Land, von Pfalz zu Pfalz, meist dort errichtet, wo schon früher die Edlen unter den Römern residierten, und sein Hofstaat mit ihm. Kaum komme ich mit dem Zählen nach, wo ich schon weilte. In Soissons und Orléans in jedem Falle, desgleichen auch in Amiens und Clichy.
Mit dem regelmäßigen Schreiben rettete sie sich, noch ehe sie endgültig entschieden hatte, ob sich das Überleben lohnte. Nicht von einem auf den anderen Tag, wohl aber im Laufe der Monate geschah es, dass ihr Leben nicht nur aus Unterdrückung, Schufterei und unendlicher Erschöpfung bestand, sondern auch aus zaghaften Zeichen von
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