Die Regentin (German Edition)
fügte.
»Wie?«, fragte Bathildis verwirrt die Kleinäugige, die Leutsinda kurz nach ihren rüden Worten als Oda angesprochen hatte. »Wir ziehen weiter?«
»So ist’s«, erklärte Oda kurz angebunden und ein wenig freudlos. »Nur wenige Wochen im Jahr zieht Erchinoald sich auf seine eigenen Güter zurück, um dort der Jagd zu frönen: jetztvor Weihnachten und im Sommer. Ansonsten aber weilt er beim König, und dieser König zieht von Pfalz zu Pfalz. Jetzt geht’s nach Clichy, dann nach Soissons und zu Weihnachten nach Paris.«
Letztere war die einzige Stadt, die Bathildis dem Namen nach kannte. Mit Sicho war sie ganz in der Nähe gewesen, in Saint-Denis. Bald freilich begriff sie, dass es für ihr Leben kaum einen Unterschied machte, wo sie sich aufhielt. Manche der Pfalzen war größer als andere, zugiger oder wärmer, raucherstickter oder heller, manche ähnelten Erchinoalds Palatium, andere mehr einem römischen Castrum, wieder andere waren kaum mehr als gewöhnliche Herrenhöfe. Die Küchen mit der Feuerstelle hingegen glichen einander, und auch die Arbeiten, die zu verrichten waren. Selbst die Gesichter, in die sie schaute, waren meist dieselben, denn wiewohl ein kleiner Teil des Gesindes stets am angestammten Orte blieb, war doch der restliche Hofstaat ein fahrender – was hieß, dass die einfachste Magd ebenso regelmäßig ihr Bündel schnüren musste, um mit Ochsenkarren oder zu Fuß das Land zu durchqueren, wie die Pferde- und Stallknechte, die Leibärzte, Goldschmiede und Münzmeister, der Truchsess, der Mundschenk und der Marschall und natürlich die Antrustionen, ein berittener Trupp, der König und Major Domus stets begleitete.
Bis auf den Küchenmeister – oder Erchinoalds Familie – sah Bathildis nie einen von jenen, die ein höheres Amt bekleideten. Keinen Unterschied hätte es darum für sie gemacht, ob sie im Gefolge eines gewöhnlichen Grafen zog oder in dem des Major Domus, folglich dem des Königs. Ihre Welt blieb eine begrenzte, und das viele Reisen machte das Leben zwar ein wenig abwechslungsreicher, aber auch mühseliger.
»Leutsinda hasst es«, erzählte Oda ihr einmal. Mit den Wochen wurde sie gesprächiger, zumal sich Bathildis mit der Zeit geschickter anstellte und sich – verbissen und stolz – nie wieder eine Blöße erlaubte. »Das Gerumpel im Wagen verschlimmertihre Magenkrämpfe. Stets legt sie sich nach der Ankunft ins Bett, verliert so viel Blut wie eine Gebärende und kann drei Tage nicht aufstehen. Es heißt, sie habe Erchinoald angefleht, dass sie Zurückbleiben dürfte, doch er ist stur und will die ganze Familie um sich haben, das Weib, den Sohn Leudesius und natürlich die beiden Töchter.«
Öfter als Leutsinda traf Bathildis Itta und Gertrude.
Als das neue Jahr begann, setzte Oda sie nicht nur zum Waschen der Schafschur ein, sondern befahl ihr, die Wolle zu rupfen, Flachs zu schlagen oder Leinen zu färben, schließlich sogar das Spinnen und Weben, Sticken und Nähen. Es stellte sich heraus, dass sie dabei geschickt war, und eines Tages kam die plappernde Gertrude zu ihr geschlichen, um das Tuch zu bestaunen, das sie bearbeitete, und sie zu bestürmen, ein Kleid zu nähen, so wie es die Mädchen in Britannien trügen.
»Färbt ihr mit Waid blau und Krapp rot?«, fragte sie wieder begierig nach Modegewohnheiten. »Näht ihr Gold- und Silberfäden ein?«
Bathildis konnte sich nicht entscheiden, ob sie sich von der Aufmerksamkeit des Mädchens geschmeichelt fühlen sollte oder belästigt. Etwas unsicher blickte sie auf.
»Deine Mutter sieht nicht gern, wenn du mit mir sprichst«, erklärte sie kurz angebunden und konzentrierte sich auf den Webstuhl. Etwa zwanzig von diesen standen in einem lang gezogenen Raum nebeneinander, und an allen wurde eifrig gearbeitet.
»Pah!«, stieß Gertrude leichtfertig aus. »Meine Mutter wird des Lebens nicht froh – ganz gleich, was ich tue. Im Winter sind ihre Leibschmerzen noch schlimmer. Den ganzen gestrigen Abend lag sie meinem armen Vater in den Ohren damit. Und wieder ging’s um das viele Geld, das mein Vater den Brüdern von Furseus vermacht hat. ’s war ein heiliger Mann, hast du schon von ihm gehört? Mein Vater hat sein Kloster stets gefördert und tut’s auch jetzt – über den Tod hinaus. Meine Mutter nennt ihn des-halbverschwenderisch. ›Hat er mich denn gesund gemacht?‹, hat sie einmal gefragt. ›Vom Himmel aus wird er dich für deine lästerlichen Worte strafen!‹, hat mein Vater zurückgegeben. Da
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