Die Regentin (German Edition)
sie grausam zerfleischte. Auch als sie losgelassen ward und die bewegungslose Hand an der noch warmen Brust barg, vermeinte sie noch die wilden Zähne zu spüren.
Ausdruckslos blickte die Frau auf sie herab.
»Ich weiß, dass es weh tut«, murmelte sie, auch von den Schmerzenstränen, die über Bathildis’ Wangen strömten, nicht mitleidig gestimmt, »aber es wird leichter mit der Zeit. Du wirst dich dran gewöhnen.«
XI. Kapitel
Am Ende des langen Arbeitstages wusste Bathildis nicht, was ihr am meisten zusetzte: das kalte Wasser, das ihre Hände anfangs rot, dann blau färbte, oder der Dreck, der in der Schur festklebte und der sich nur durch mühseliges Reiben zerbröseln, ausspülen und neuerliches Reiben entfernen ließ. Am Ende war der Inhalt des Scheffels so weiß wie die Schneedecke, aber auch Bathildis’ Gemüt war so ausgebleicht, als könnte sie nie wieder etwas freudig Buntes erleben.
Ohne neuerliches Fluchen – jenes war schon in der Mittagszeit verstummt – stapfte sie zurück in die Küche, stellte vor der kleinäugigen Frau den Scheffel ab und hockte sich neben die Feuerstelle. Sie wollte sich nicht aufwärmen (die Glieder schienen die Hitze so wenig zu spüren als die Kälte); auch verspürte sie keinerlei Hunger. Nur die Augen wollte sie schließen, im erlösenden Schwarz der letzten Nacht versinken, ganz gleich welcher Lärm noch um sie tobte.
Man gönnte es ihr nicht. Sie hockte keinen Augenblick, als ein Schatten auf sie fiel. Unwillig hob sie den Kopf, die Kleinäugige erwartend, die ihr eine neue Aufgabe zuweisen würde.
Stattdessen fiel ihr müder Blick auf zwei junge Mädchen mit flachsfarbenem Haar und apfelroten Wangen, deren Haare viel sorgfältiger geflochten waren als jene der Dienstboten und deren Kleider sauber und ohne Flicken waren.
»Nein«, stellte die eine mit abschätzenden Blick fest – über Bathildis sprechend, aber nicht zu ihr, »nein, Vater hat sich geirrt. So sieht keine Fürstentochter aus! Sieh sie dir doch an – die roten Hände, wie dreckig sie ist! Und wie sie stinkt!«
»Aber Vater hat’s gesagt, Itta!«, gab die Schwester zurück, etwas kleiner gewachsen, mit breiterem Becken und wärmerem Blick. Während die andere hochmütig auf Bathildis herabgaffte, beugte sich jene nieder, um sie aus der Nähe zu mustern. »Ich habe ihn mit Mutter über sie reden hören«, fuhr sie fort. »Er hat gesagt, dass er sie auf der Jagd gefunden hat, irgendwo in den Wäldern, und dass sie aus Britannien käme... so hätte sie es ihm erzählt.«
Die andere lachte freudlos. »Ach Gertrude, wie leichtgläubig du bist! Dann hat sie eben gelogen, und außerdem...«
Bathildis wurde steif – nicht von der Kälte, die in den Gliedern hockte, sondern vor Empörung. Langsam, wiewohl entschlossen richtete sie sich auf. Sie war größer als die beiden Mädchen, überragte sie fast um einen Kopf.
»Ich lüge nicht!«, zischte sie zwischen den blau gefärbten Lippen hervor.
»Siehst du!«, rief Gertrude, die Jüngere, beglückt. »Vater hatte doch recht!«
Itta schnaubte, um nun erstmals in Bathildis’ Richtung zu reden. »Kannst du’s beweisen?«, fragte sie unwirsch.
»Hab ich’s not?«, gab Bathildis mit nicht minder ungnädiger Stimme zurück.
»Wenn ich etwas frage, so hast du zu antworten!«, schrie die andere. »Ich bin Erchinoalds Tochter. Er ist der Major Domus des Königs, was heißt, er gehört zu den Großen des Landes. Was wagst du überhaupt, zu stehen und mir ins Gesicht zu glotzen. Knie dich hin, dreckige Sklavin!«
Bathildis ahnte, dass es besser war, sich zu fügen. Und zugleich dachte sie, dass ihre schmerzenden Glieder bersten müssten, würde sie sie noch einmal zu einer abrupten Bewegungzwingen. Eben hatte das Blut begonnen, zurück in ihre Hände zu fließen; es kitzelte und schmerzte.
»Nun und?«, fragte sie, ohne nachzudenken. »Mein Vater verkehrte am Hof des Königs Oswine von Northumbrien. Mag ich auch dreckig sein und stinken – mein Blut ist nicht schlechter als deines.«
Die Handfläche der anderen traf sie schneller im Gesicht, als sie mit ihren müden Augen es sehen konnte. Lauter noch schallte die Ohrfeige als alle vorangegangenen Worte. Jetzt erst merkte Bathildis, dass sämtliche Weiber sie anstarrten, auch die Kleinäugige, deren Blick wieder in den Fettschwülsten versank. Noch während Itta wütend zurücktrat und an ihnen vorbeirauschte, das freche Mädchen nicht für wert befindend, um noch ein tadelndes Wort auszusprechen,
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