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Die Regentin (German Edition)

Die Regentin (German Edition)

Titel: Die Regentin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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fühlte sie sämtliche Kräfte unter den ausdruckslosen Blicken nachgeben. Vielleicht war es auch die Ohrfeige, die ihre Füße einsacken ließ, oder der lange, kalte Tag. Alsbald kauerte sie noch tiefer als vorhin, geschunden wie ein Pflugochse, und vermochte nichts anderes, als zu heulen.
    Selbst dafür ließ man sie nicht im Frieden.
    Gertrude folgte der älteren Schwester nicht, sondern hockte sich neben Bathildis, um mit gleichmütiger Stimme vor sich hin zu plappern. Die Ohrfeige bekümmerte sie so wenig wie Bathildis’ Heulen. Ihre Worte waren ein laues, seichtes Bächlein, das über die spitzen Steine, die den Lebensfluss manchmal pflastern, hinwegplätscherte – und sie wählte solche, die sie wohl auch gesprochen hätte, wenn sie mit einem ebenbürtigen Grafentöchterlein in der Kemenate gehockt hätte, um dort an einem Wandteppich zu weben.
    »Was tragen die Frauen in Britannien?«, fragte sie heiter. »Ich wollte das schon immer wissen, doch nie sah ich eine, die von dem Land hinter dem Meer kommt. Sieh diese Stirnbinde an, die ich da trage; mit Gold sind die Fäden umsponnen. Die fränkischen Jungfrauen halten so das Haar zurück, bevor sie heiraten.«
    Mit rot verweinten Augen blicke Bathildis auf. Das Erstaunen, dass Gertrude ihr Elend nicht wahrnahm, war noch größer als das Elend selbst.
    »Wie?«, entfuhr es ihr.
    »Ja«, sprach Gertrude eifrig. Ihr Blick suchte nicht Bathildis’ Augen, sondern schielte unmerklich daran vorbei. »Tragt ihr Mädchen in Britannien Gleiches? Und schau, meine Schuhschnallen hier – sind die Riemenzungen, die Euer Fußwerk schließen, aus Silber oder aus Gold? Ist dein Ohrläppchen durchbohrt, dass du Ringe tragen kannst wie um die Finger und den Arm? Und sieh, das hat mir mein Vater vor kurzem mitgebracht! Gar wundersam ist’s hergestellt. Ich dürfte es nicht verlieren, mahnte er mich.«
    Noch redend hob sie eine Kette an, an der eine durchbrochene Zierscheibe angebracht war. Munter baumelte sie über ihrer Brust, als Gertrude weitersprach.
    »Eine Tunika in Purpur habe ich auch bekommen, ’s ist die liebste Farbe von den Frauen hier – auch bei euch? In Paris gibt’s eine Frau, Winofleda geheißen, die ihr eigenes Geld verdient, indem sie den ganzen Tag für andere Leute näht. Meine Mutter freilich meinte, wir bräuchten sie nicht... würde ich ein neues Kleid wollen, so müsste ich es selber machen. Doch leider werden meine Stiche nie so ebenmäßig, wie sie sein sollten!«
    Kurz zuckte sie nachdenklich die Schultern, ehe sie mit Freuden weiterprahlte: »Aber einen neuen Gürtel habe ich bekommen. Siehst du, wie die Steine funkeln? Viel besser als an den anderen kann ich meine Kämme daran befestigen – sämtlich sind sie aus Hirschgeweih, wohingegen meine Mutter nur solche aus Holz hat.«
    Bathildis blinzelte verwirrt. Das Mädchen musste von Sinnen sein, mit ihr zu plappern. Die anderen Weiber fanden es freilich nicht ungewöhnlich – schon hatten sie sich abgewandt, um das mühselige Tagesgeschäft zu Ende zu bringen.
    »Nun sag schon«, drängte Gertrude, »wie sehen die Mädchenin deiner Heimat aus? Wie kleiden sie sich? Wie schmücken sie sich? Ich möchte wissen, ob sie schöner sind als die hierzulande!«
    Bathildis hatte nicht geahnt, dass ihre Stimme noch Kraft hatte. »Das fragst du mich?«, schrie sie dennoch zurück. »Man hat mich verschleppt und versklavt! Ich muss den ganzen Tag über Drecksarbeit tun – und du willst wissen, welche Gewänder ich früher trug?«
    So plötzlich wie die erste, traf sie die zweite Ohrfeige an diesem Tag.
    Es war nicht Gertrude, die sie schlug. Jene starrte mit erschrockenem Schafsblick.
    Nein, es war die verbitterte Leutsinda, die sie überrascht hatte und sie nun unwirsch anherrschte: »Wage nicht, auch nur ein Wort mit meinen Töchtern zu reden.... Und glaube nicht, du könntest hier beim Feuer ausruhen. Es heißt packen. Morgen ziehen wir weiter.«
    Es bedurfte weiterer Wochen, bis Bathildis begriff, welchen Gesetzmäßigkeiten ihr Leben als Erchinoalds Sklavin unterlag. Harte Schufterei und Rechtlosigkeit waren längst nicht alles – hinzu kam, zu ihrem Erstaunen, ständiges Reisen.
    Dass Erchinoald das höchste Amt des Staats innehatte, Major Domus des Königs war, hatte sie gehört, aber die Bedeutung des Gesagten nicht verstanden – zumindest nicht bis zu jenem Abend, da Leutsinda mürrisch das Packen anordnete und sich der größte Teil des Gesindes noch betriebsamer als sonst dem Aufbruch

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