Die Regentin (German Edition)
ganz gleich, was der König von jener hielt. Leutsinda selbst bekam Bathildis nicht zu sehen. Es hieß, dass es ihr nach den Aufregungen des Abends wieder schlechter ging. Schon vor Stunden habe sie sich in die Frauengemächer zurückgezogen, und es war nicht gewiss, wann sie diese wieder würde verlassen können.
Gertrude erzählte ihr das.
Dass sie mit Bathildis eine Kammer zu teilen hatte wie ansonsten nur mit der Schwester, schien sie nicht zu stören. Sie redete ohne Unterlass, wiewohl ihre Augen vor Müdigkeit schon ganz schmal waren.
»Meine Mutter kann nicht fassen, was geschehen ist. Sie hat jedem davon erzählt, selbst mit Oda hat sie gesprochen. Nein, geschrien hat sie. Wie Oda es sich einfallen lassen konnte, dich in den Saal zu schicken! Bestrafen hat sie sie wollen, doch dann ist mein Vater dazwischengegangen und hat gesagt, sie dürfe soetwas nicht sagen. Du hättest das Wohlgefallen des Königs erregt. Sie dürfte kein schlechtes Wort mehr über dich verlieren... Die Wahrheit ist: Mein Vater war nicht minder erzürnt über die Ereignisse wie sie. Ich glaube, er stellte sich nur auf deine Seite, weil es gegen sie gerichtet war.«
Bathildis hatte das Gerede überhören wollen, hatte die Augen geschlossen, um nach dem langen, ermüdenden Tag endlich zu schlafen. Doch stattdessen war sie nun hellwach, den Bildern der letzten Stunden ausgeliefert, die ihre Gedanken nicht müde wurden an ihr vorbeizuspulen.
»Meine Mutter hat daraufhin lange geweint. Nicht wegen dir, sondern weil sie wieder Schmerzen bekam, sie darüber klagte, aber er kein Mitleid zeigte. Und Itta – sie grämt sich so, weil ihre Pläne nicht aufgegangen sind. Ich verstehe das gar nicht... Weißt du, Bathildis, was ich mir schon lange gedacht habe? Dass ich keinen Gatten will. Ich weiß, es ist undenkbar, denn dann bliebe mir nur das Kloster, und das mag ich auch nicht, weil das Bußgewand, das man dort trägt, kratzt und grau ist. Und doch ist es so...«
Bathildis fuhr hoch, sicher, dass ihr der Schädel platzen müsste, wenn Gertrude noch ein einziges Wort sagte.
»Halt dein Maul!«, entfuhr es ihr.
Gertrude glotzte träge. Der Schein der Kerze, die sie noch nicht ausgeblasen hatte, tanzte auf der unteren Hälfte ihres Gesichts, wohingegen auf der Stirne die Schatten wie dunkle Wolken ruhten. Stumm war sie Bathildis fremd. Sie hatte das Mädchen kaum anders als plappernd erlebt, und zum ersten Mal gewahrte sie auch in ihr den Ausdruck dumpfer Traurigkeit.
Es war zu viel.
Wie soll ich’s ertragen, wenn nun auch sie heult?, dachte sie.
Gertrude weinte nicht.
»Es wundert mich, Bathildis, dass du so furchtlos bist«, murmelte sie. »Gute Nacht!«
Sie löschte die Kerze, aber Bathildis konnte sich nicht mehr zurücklegen. Halb aufgerichtet verharrte sie, die letzten Worte bedenkend.
Ja, all dies war geschehen, weil sie furchtlos erschienen war.
Chlodwig hielt sie für eine starke Frau, die seiner toten Mutter glich.
Auch Ebroin hielt sie für stark, was dazu führte, dass er irgendwelche Pläne ausheckte.
Und Itta hatte ihr nicht nur unterstellt, sie habe den Wandel ihres Geschicks willentlich herbeigeführt, sondern war obendrein mit einem Dolch auf sie losgegangen.
Doch in Wahrheit war alles, wonach sie getrachtet hatte, zu sterben – weder hatte sie als furchtlos erscheinen wollen noch den König für sich einnehmen.
Bathildis stöhnte auf. Stets hatte sie als Sklavin den nächsten Tag berechnen können; nun lag jener im Dunkeln und desgleichen, was der König von ihr wollte... und Ebroin.
Was geschieht mit mir?, dachte sie erbebend. Was geschieht nur mit mir?
XV. Kapitel
Geliebter Aidan,
nun, da ich viel Zeit mit ihm verbringe, beginne ich, des Königs Wesen zu verstehen.
Seit vielen Jahren drücken ihn Sorgen um sein Land. Kein mächtigeres Reich lässt sich auf Erden finden als das der Merowinger, doch weil es so oft unter den Königssöhnen geteilt wurde, gab es kaum Zeiten, da es Frieden und Wohlstand genoss. Stets war es zerrissen von Kriegen zwischen Menschen gleicher Abstammung.
Chlodwig ist – wie Ebroin sagte und ich seitdem viele Male selbst erleben konnte – von Furcht gelähmt. Nicht nur Rebellion und Krieg gilt sie – sondern auch dem Vergleich mit seinem Vater Dagobert. Er weiß, dass er jenem nicht standhält, gehörte Dagobert doch zu den Großen des Geschlechts und war einer der wenigen, der alleine über das ganze Reich herrschte.
Mir scheint’s, die Zeiten der starken Merowingerkönige
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