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Die Regentin (German Edition)

Die Regentin (German Edition)

Titel: Die Regentin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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sind endgültig vorbei. Hierin Neustrien ist Erchinoald letztlich mächtiger als Chlodwig, und auch in Austrasien, so heißt’s, will der Major Domus alles selbst entscheiden. Es mag sein, dass künftig deren Sippen die Geschicke des Landes viel mehr bestimmen werden als das Geschlecht der Merowinger...
    Anfangs hatte Bathildis nicht gewusst, wie sie Chlodwig gegenübertreten sollte, was er von ihr wollte und wie sie darauf zureagieren hatte. Weder äußerte er Wünsche, noch ahnte sie, ob es sich für sie lohnen könnte, um ihn zu buhlen.
    So handelte sie meist ziellos, traf dennoch zum eigenen Erstaunen die richtigen Worte, und das bereits an jenem ersten Tage, da er sie zeitig am Morgen wieder zu sich rief. Die frühe Stunde hielt ihn nicht davon ab, ein üppiges Mahl zu sich zu nehmen. Es bestand aus ganzen gebratenen Hühnern, und seine Finger waren so fettig wie das dünne, lange Haar, das in die Speisen hing. Bei diesem Anblick überkam Bathildis solche Übelkeit, dass sie meinte, sich auf der Stelle übergeben zu müssen.
    »Hört zu essen auf!«, rief sie gegen den Brechreiz an. »Es kann doch nicht sein, dass ein Mann wie Ihr stets nur an Essen denkt. Und überhaupt: Warum hockt Ihr an einem Tag wie diesem in einem stickigen Raum?«
    Bis zu diesem Augenblick war ihr noch nicht aufgefallen, dass die Sonne schien. Nun aber, da ein sonderliches Glänzen in Chlodwigs Gesicht aufleuchtete, gewahrte sie die lockenden Strahlen, und es wurde ihr – entweder von diesen oder von seinem zutraulichen Lächeln – warm ums Herz. Als er sich willfährig erhob, errötete sie.
    »Vergebt«, murmelte sie verlegen. »Vergebt mir, es steht mir nicht zu, so mit Euch zu sprechen und...«
    »Gut«, fiel er ihr ins Wort. »Lasst uns ins Freie gehen.«
    Er folgte ihr wie ein tapsiger Hund – und rührte sie nicht minder als ein solcher. Trotzdem hätte sie vor Scham vergehen wollen, als die vielen Blicke sie trafen – ehrfürchtig auf den König gerichtet und abschätzend auf sie.
    Sie denken gewiss, ich wäre seine Hure, ging ihr durch den Kopf, und sie wünschte sich nichts so sehr, als sich wieder in seinem Gemach zu verkriechen, auch zum Preis, dass sie nicht nur die fettigen Hühner ertragen musste, sondern vielleicht auch seine Berührung, ähnlich jener, als sie am ersten Abend seine Hand gestreichelt hatte. Warum sonst wollte er sie in seiner Nähe halten, wenn nicht zu diesem Zwecke?
    Er verzichtete jedoch darauf, ihr zu nah zu treten. Auch als es in den kommenden Tagen nicht länger sonnig vom Himmel schien, sondern weiße Flocken staubten, genoss er es, sich mit ihr im Freien aufzuhalten, und selbst als ihm der Atem vor dem Mund gefror, hörte er nicht auf zu reden.
    Wann immer er geendigt hatte, wusste sie nicht, ob sie ihn durch Fragen zu seinen Erzählungen aufgefordert hatte oder ob sie wahllos über seine Lippen traten. Manchmal ahnte sie, sie könnte ihn mit bloßen Blicken lenken, und sie war stolz darauf – manchmal schauderte sie vor seinem Zutrauen, und sie war geneigt, ihm zuzurufen, dass sie nicht die mutige, starke Frau wäre, für die er sie hielt.
    Doch sie unterließ alle Widerworte und zog es vor zu nicken.
    Sie nickte, als er von seinem Vater sprach, dem großen König Dagobert, der zwar alle Macht in Neustrien und Austrasien hatte, jedoch lange Zeit keinen Sohn, denn seine erste Frau Gomatrude war unfruchtbar gewesen. Erst seine Nebenfrau Ragnetrudis hatte ihm schließlich einen Sohn geboren, Sigibert, Chlodwigs Halbbruder, und Nanthild einen zweiten. Bathildis erwartete, dass er nun von dieser zu sprechen begänne, seiner Mutter und jener Frau, der sie offenbar glich. Auch sie eine Sklavin. Und doch dazu auserkoren, des Königs Herz für sich einzunehmen und ihm Chlodwig zu schenken.
    Stattdessen aber erwähnte er plötzlich die Ruhr – jene Krankheit, die den Vater erfasst hatte, als er ins sechzehnte Regierungsjahr ging. Er hatte damals Nanthild zu sich rufen lassen und desgleichen den kleinen Sohn, auf dass sie ihn beide im Sterben begleiteten.
    »Welches qualvoll war... er konnte nichts mehr essen.«
    »Ja«, sagte Bathildis, um ihm nicht nur mit einem Nicken zuzustimmen. »Ja, die Ruhr ist eine schlimme Krankheit. Schlimmer sind nur Lepra und Pest.«
    Jenen Krankheiten war sie allesamt nicht begegnet; den Todfreilich kannte sie – von jener Nacht her, da die Friesen den Vater erschlagen hatten. In den weißen Schnee starrend entsann sie sich des aufspritzenden Bluts und erschauerte.

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