Die Regentin (German Edition)
Ungelenk legte ihr der König die Hand auf die Schulter. Sie wusste nicht, ob sie ihn zurückstoßen oder sich in die Umarmung fallen lassen sollte.
Vorsichtig drehte sie sich um, um zu prüfen, ob jemand sie belauerte. Konnte es sein, dass Erchinoald hier irgendwo war, dem König das hübsche Mädchen gönnend und zugleich hadernd, weil sie ihn selbst zurückgewiesen hatte? Was würde Itta denken, der sie doch niemals den Gatten hatte rauben wollen, oder Leutsinda, die gewiss gegen die verhasste Sklavin grollte? Und... Ebroin, der farblose, rotäugige, spöttisch Lachende?
Bei der Erinnerung an ihn erschauerte sie noch mehr. Der König drückte sie fester.
»Bitte«, sagte Bathildis schwach und machte sich los, ehe sie die Entscheidung treffen konnte, ob die Berührung ihr Wohltat war oder Qual. »Bitte... fahrt fort. Erzählt mir mehr von Euch.«
Wie früher schon zogen sie auch im Laufe dieses Winters von Residenz zu Residenz, einmal auch weit in den Süden, in jenen Teil des Reiches, der Burgund hieß und dessen Adelige sich nur ungern von Neustrien gängeln ließen, wie Bathildis erfuhr. Noch als Nanthild für Chlodwig regiert hatte, gab es fortwährend Auseinandersetzungen darüber, ob denn in Burgund derselbe Major Domus gelte wie in Neustrien oder jenes einen eigenen bestellen dürfte. Nanthild bestimmte für das Amt einen gewissen Flachoad – die Großen von Burgund aber einen der ihren, welcher Willebad hieß. Die beiden bekriegten sich noch über Nanthilds Tod hinaus, und auf dass nicht länger beide Reiche darunter litten, wurde schließlich ein Zweikampf beschlossen. Wer immer den anderen tötete – denn was wäre dies anderes als ein Zeichen Gottes –, sollte das umstrittene Amt erlangen.
»Alle Großen des Reiches versammelten sich und umstellten das Feld, wo sie aufeinander losgingen«, murmelte Chlodwig. »Ich... ich war damals noch ein Knabe. Und musste dennoch zusehen. Erchinoald, der damals schon Major Domus war, verbat mir, den Blick zu senken. Er sagte, es wäre eines Königs nicht würdig, auch nur mit den Lidern zu zwinkern. Lang währte die Zeremonie, ehe sie überhaupt zu kämpfen begannen. Es gab auch mancherlei zu essen und zu trinken...«
Als er ihr davon erzählte, hielt sich Bathildis schon seit Wochen in seiner Gesellschaft auf. Sie wusste immer noch nicht, was er von ihr wollte, sie wusste nur, dass es nichts Unsittliches sein konnte, denn er war ihr nie zu nahe getreten. Ihr Mitleid war darum echt wie ihre Neugierde, beides nicht länger beschmutzt von Angst und Scham wie am Anfang.
»Und«, fragte sie, »wer ist siegreich aus dem Kampf hervorgegangen?«
Jäh hob Chlodwig seine Hand an die Schläfen, als müsste er die Erinnerung heraufbeschwören. Stattdessen stieß er plötzlich einen wilden Schrei aus, der Bathildis zusammenzucken ließ.
»Weh!«, stöhnte er. »Weh! Wie sie schon wieder im Kopf wüten... die Stimmen. Immer so viele. Alles muss ich sehen, alles muss ich hören, nichts darf mir entgehen, ich bin der König. Und deswegen reden und reden und reden sie... und wollen von mir Entscheidungen... und niemals sind sie stumm.«
»Wer«, fragte Bathildis entsetzt. »Wer?«
Erstmals war sie es, die ihn von sich aus berührte, fest den Arm um seine Schultern legte und ihn an sich drückte.
»Ich weiß es nicht«, murmelte er hoffnungslos. »Manchmal tragen sie die Gesichter von Flachoad und Willebad, wie sie da blutüberströmt aufeinander losgehen, einer dem anderen mit dem Schwert den Leib durchbohren will, mit der Axt den Schädel einschlagen... oh, könnt ich mir nur selbst den Schädel einschlagen, die Stimmen würden endlich schweigen!«
»Sagt so was nicht!«, rief sie.
Ihr Entsetzen beschwichtigte ihn – er dachte, es gelte seinen Worten. In Wahrheit überkam es sie, weil sie sich erst in jenem Augenblick vollends eingestand, dass der König einen kranken Geist besitzen musste. Schon als Oda ihr damals Gerüchte über den König zugetragen und er selbst von den vielen Stimmen in seinem Kopf gesprochen hatte, hatte sie es geahnt – und es nicht recht glauben wollen, wo er doch König war.
Jetzt wusste sie es sicher – und konnte sich des Kummers darüber nicht erwehren. Suchte er ihre Nähe, weil sie vielleicht die Einzige war, die ihn fest genug packen konnte, um ihm die Stimmen auszutreiben? Und könnte sie solcherart auch aus sich selbst das Elend quetschen, davon gezeugt, dass sie zwar nicht mehr in der Asche hausen musste, aber immer noch
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