Die Reise in die Dunkelheit
gegenseitig erschossen. Und jetzt seid ihr schon wieder zu Späßen aufgelegt, wie?«
Das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht und er überzog die verstummten Aufklärer mit einem stechenden Blick. Verlegen traten die Kämpfer von einem Bein auf das andere. Niemand traute sich, den abgebrühten Stalker zu unterbrechen. Wie eine Peitsche zerschnitt seine Stimme die angespannte Stille.
»Warum legst du ihn nicht um? Ihr habt doch Ausgangssperre, oder?«
Schugai schwieg. Ohne aufzusehen, hob er sein Messer vom Boden auf und steckte es in die Scheide.
»Habt ihr nichts Besseres zu tun? Gibt’s keine Banditen mehr, keine Bestien? Wie schön! Jahrelang habt ihr einträchtig nebeneinander gelebt. Gutnachbarliche Beziehungen aufgebaut. Handel getrieben. Und dann kommen so ein paar Spinner mit einem Ultimatum daher, und alles geht den Bach runter! Ende der Diplomatie! Jeder verdächtigt jeden. Grenzen werden dichtgemacht. Und jetzt geht ihr euch auch noch gegenseitig an die Gurgel. Wie kommt das? Habt ihr Angst um euer Fell oder seid ihr zu blöd, die Augen aufzumachen? Was für eine verdammte Atombombe denn? So ein gnadenloser Unsinn! Wo sollen denn in der Metro Atombomben herkommen? Vielleicht züchten sie die Allianzler in ihren Schweinefarmen?« Der bohrende Blick des Söldners wanderte von Schugai zu dem Sommerspross. »Oder bestellen sie eure Händler im Internet? Aber du weißt wahrscheinlich noch nicht mal, was das ist …«
Taran winkte ab und trottete davon. Das Wichtigste war geschafft: Es hatte kein Blutvergießen gegeben. Den Rest konnten die Kämpfer auch untereinander klären. Schließlich waren die meisten gestandene Stalker und keine Chaoten.
Jura schaute der Silhouette des Söldners hinterher, die allmählich in der Dunkelheit der Werkstatt verschwand. Die Worte des Veteranen gingen ihm durch den Kopf. Taran hatte ihnen gehörig die Leviten gelesen, aber im Grunde hatte er recht.
Die flüchtige Bekanntschaft mit dem einzelgängerischen Söldner hatte einen tiefen Eindruck bei dem unerfahrenen Kommandeur hinterlassen. Bislang unumstößliche Wahrheiten sah er jetzt in einem neuen Licht.
Wie hatte er ihn genannt? Sommerspross. Dann sollte es wohl so sein … Der junge Mann wusste noch nicht, dass die Alteingesessenen in ein paar Jahren bei der Erwähnung dieses lustigen Spitznamens, den ihm Taran beiläufig verpasst hatte, respektvoll mit dem Kopf nicken würden, weil er für einen der erfolgreichsten Stalker des Handelsrings stand.
Ein idyllischer Anblick: derselbe Holztisch, derselbe staubige Schrank, derselbe abgekaute Becher mit echtem, aromatischem Tee. Selbst Terentjew war völlig unverändert – unausgeschlafen und mit dicken Tränensäcken unter den geröteten Augen. Ein Déjà-vu? Oder eine Laune des Schicksals, das ihn blind im Kreis laufen ließ?
»Also nicht die Veganer …« Nachdenklich bohrte Tjorty in seinem Ohr.
»Nein . A nfangs dachte ich auch: Wer weiß … Aber die ›Grünen‹ haben nichts damit zu tun.«
»Wer dann? Eine Selbstzündung? Schlamperei beim Umgang mit Waffen? Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.« Als er aufsah, bemerkte der Stationsvorsteher Tarans provokanten Blick. »Oder doch?«
In der drückenden Stille surrte eine verrußte Glühbirne, die von der Decke hing. Ihr schummriges Flimmerlicht wirkte irgendwie trostlos.
»Was denkst du, woher kommt der Strom?«
»Hä?« Terentjew verstand nicht. »Die Masuten haben ihn angeschlossen.«
»Und woher haben die ihn? Komm mir bloß nicht mit Dieselgeneratoren. Unter der Technoloschka gibt’s keine Kraftstofflager, das kannst du mir glauben.«
Tjorty verzog das Gesicht und schob seinen Becher so energisch beiseite, dass die Hälfte des Tees auf den Tisch schwappte.
»Solltest du auf diese Geschichte mit der mysteriösen geheimen Bunkeranlage anspielen, dann …«
»Weißt du was darüber?«, unterbrach ihn der Söldner.
»Das ›Objekt 30‹. Gromow war mir schon lange damit in den Ohren gelegen. In letzter Zeit hatte er nichts anderes mehr gemacht, als überall wegen dieses blöden Gerüchts zu recherchieren. So hat er sich wahrscheinlich auch die Krankheit eingefangen. Weil er überall seine neugierige Nase hineinstecken musste . A rmer Pantelej. Gott hab ihn selig.«
Taran horchte auf.
»Lass mich raten. Der Schwarze Vernichter?«
Terentjew nickte. Er kramte abwesend in einem Wust von Unterlagen und wischte dann zornig den ganzen Stapel beiseite. Ein Blatt Papier, das vom Tisch rutschte, fing der
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