Die Reise in die Dunkelheit
Aurora im Flüsterton.
»Frag mich was Leichteres«, erwiderte der Junge achselzuckend. »Vielleicht dringen von der Oberfläche irgendwelche Krankheitskeime ein? Ich wüsste nicht, wozu die Bleche sonst gut sein sollten. Gegen Mutanten gibt es bestimmt Eisengitter im Schacht. Da sind die Allianzler sehr konsequent.«
Wegen des Lärms bemerkten die beiden die sich nähernden Schritte nicht und erschraken, als sie jemand von hinten anfuhr: »Was habt ihr hier verloren? Wieso seid ihr nicht an der Station? Macht, dass ihr hier wegkommt!«
Eingeschüchtert drückten sich die halbwüchsigen Herumtreiber an dem rotgesichtigen Mechaniker vorbei und kehrten in den Haupttunnel zurück.
Am Eingang zur Gostinka herrschte noch wesentlich mehr Betrieb als im Lüftungsschacht. Es waren hauptsächlich schwer bepackte Händler, die chaotisch durcheinanderschrien und zur Absperrung am Kontrollposten drängten. Doch niemand wurde durchgelassen.
»Was ist los? Warum lassen sie keinen rein?«, erkundigte sich Gleb.
Eine dürre Alte mit einem löchrigen Einkaufswagen winkte ärgerlich ab: »Diese Schufte haben die Station einfach dichtgemacht . A ngeblich wurde in der ganzen Allianz eine Ausgangssperre verhängt. Irgendwelche Terroristen sollen im Anmarsch sein. Fremde!« Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, hob die Alte ihren knorrigen Zeigefinger. »Wo gibt’s denn so was, dass man anständige Leute mit Giftgas bedroht. Wir sind doch keine Kakerlaken. Pfui, was für Antichristen!«
Nachdem die alte Händlerin ihre Schimpftirade beendet hatte, verschwand sie im Gewühl. Die Wachposten kümmerten sich nicht um das Protestgeschrei. Sie empfahlen lapidar, zur Majak zurückzugehen. Von dort aus könne man das Territorium der Primorski-Allianz ungehindert verlassen.
Einige folgten diesem Rat und kehrten um, andere blieben – in der Hoffnung, dass die Sperrung nicht lange dauern würde.
»Sieht fast so aus, als müssten wir einen Umweg über die Wosstanija , die Wladimirskaja und die Dostojewskaja machen«, schlussfolgerte Gleb. »Anders kommen wir nicht zur Linie 2.«
Seine Weggefährtin hörte ihm überhaupt nicht zu. Sie starrte völlig abwesend auf einen Punkt an der Tunnelwand und malte mit dem Finger kryptische Linien in die Luft, als würde sie etwas aus dem Gedächtnis zeichnen.
»Was …«
»Warte!« Aurora setzte ihre merkwürdige Beschäftigung fort. Dann marschierte sie plötzlich los. »Gehen wir, es muss irgendwo hier sein …«
»Was denn? Wo willst du denn hin?«
Gleb holte das Mädchen an einer unscheinbaren Treppe ein, die in einen Korridor mit niedriger, gewölbter Decke hinunterführte . A urora folgte der engen Röhre bis zum Ende, wo sie in den parallelen Gleistunnel mündete. Dort stank es erbärmlich nach Mist. Man hörte Schweine quieken. Einen Augenblick blieb sie unentschlossen stehen, dann kehrte sie in die Mitte der Verbindungsröhre zurück.
»Irgendwo hier …«
»Was soll denn hier sein?!«, fragte Gleb, der allmählich die Geduld verlor.
»Ein Gang«, erklärte Aurora, als sie den ratlosen Blick ihres Begleiters sah. »Ich kann mich genau erinnern. Weißt du, bevor ich abgehauen bin, habe ich zufällig Metropläne gefunden. In einem Kontrollraum lagen sie packenweise herum. Einige davon habe ich mir sogar eingeprägt, bevor man mich dort erwischt hat. Im Zentrum ist der Untergrund durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Es gibt jede Menge Wärmetrassen, Kabelschächte, Abwasserkanäle und, und, und … Von einigen wissen nicht mal die Wilden, dass sie existieren! Wenn die Zeichnungen stimmen, kommt man von hier zur Sennaja durch.«
Gleb sah sich skeptisch um. Glatte Wände, am Boden verwitterte Lumpen und vertrocknete Exkremente. Vermutlich hatte das Mädchen sich im Eifer des Gefechts einfach geirrt. Wo sollte hier ein Gang sein? Höchstens …
Er holte aus und schlug mit dem Schaft der Flinte gegen die Wand. Putz blätterte ab und grauer Staub rieselte zu Boden. Einige Schritte weiter wiederholte der Junge die Prozedur. Das Resultat war dasselbe.
Nach einigen Versuchen trug die gewählte Taktik doch noch Früchte. Diesmal fiel ein riesiges Stück Putz herab, und dahinter kam eine gemauerte Ziegelwand zum Vorschein.
»Hab ich’s mir doch gedacht. Es gibt einen Gang. Er ist nur zugemauert. Wir müssen ihn aufbrechen«, triumphierte Aurora.
Gleb brach einen Ziegelstein nach dem anderen aus der Wand, bis eine genügend große Öffnung entstanden war. Mit der Taschenlampe zwischen den
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