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Die Reise in die Dunkelheit

Die Reise in die Dunkelheit

Titel: Die Reise in die Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Djakow
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dampfender Gusseisentopf, der mit einem sauberen Tuch abgedeckt war. Genussvoll sog der Junge den Duft ein, und sein Magen meldete knurrend Bedarf an.
    »Was stehst du herum? Weck deinen Freund auf und esst! Ich habe nicht ewig Zeit. Essen machen, Bett herrichten, Tee kochen – sind wir hier im Hotel oder wie?!«
    Gleb sah auf . A n den Türstock gelehnt stand eine Frau in einer Wattejacke und linste kurzsichtig unter einem tief ins Gesicht gezogenen Kopftuch hervor. Die Lagerarbeiterin hatte offenbar nicht mitbekommen, dass Glebs »Freund« ein Mädchen war. Den beiden Weggefährten konnte das nur recht sein.
    Der Junge rüttelte Aurora wach, kehrte zum Tisch zurück und nahm eine Kostprobe. Die Grütze mit Fleischstücken erwies sich als äußerst schmackhaft. Innerhalb weniger Minuten leerten die beiden Halbwüchsigen den Topf . A ls ihre gestrenge Gastgeberin zurückkam, packten sie bereits ihre Habseligkeiten zusammen.
    Tjorty trafen sie auf dem Bahnsteig. Der augenscheinlich schlecht gelaunte Stationsvorsteher brüllte gerade zwei Untergebene zusammen. Das Corpus Delicti war ein löchriger Sack, aus dem erkleckliche Mengen kostbaren Speisesalzes auf den Boden rieselten . A ls Terentjew die Kinder sah, beruhigte er sich ein wenig und lächelte bemüht. Die eingeschüchterten Arbeiter nutzten die Gelegenheit, um das schadhafte Packstück flugs aus dem Gesichtsfeld des zornigen Chefs zu entfernen.
    »Ich wollte euch schon holen lassen. Ihr müsst zum Verladebahnsteig. Und beeilt euch, der Tross wird jeden Moment aufbrechen.« Tjorty wies ihnen mit dem Arm die richtige Richtung. »Fragt nach Stepan Kostroma, der weiß Bescheid.«
    »Onkel Viktor …«
    »Was?«
    »Vielen Dank, dass Sie sich solche Umstände gemacht haben«, sagte der Junge verlegen. »Das ist mir direkt unangenehm …«
    »Vergiss es, Gleb! Wenn du Taran siehst, sag ihm, dass er vorbeikommen soll. Die Uhr tickt, und sie tickt gegen uns … Leider habe ich nicht mehr Zeit für euch, es ist so viel zu tun, und Pantelej ist auch noch nicht zurück …« Als der Stationsvorsteher den verzagten Gesichtsausdruck des Jungen bemerkte, hielt er inne und trat näher. »Hast du ihn gesehen? Wo? Was ist mit ihm?«
    »Pest«, murmelte Gleb mit dünner Stimme. »Pantelej wurde verbrannt, an der Tschernyschewskaja .«
    Tjortys Miene verdüsterte sich. Seine Wangen bebten, und in seine Stirn gruben sich tiefe Furchen.
    »Das gibt es doch gar nicht«, presste er hervor. »Wo sollte er sich denn die Pest geholt haben? In der Krankenstation haben wir keinen einzigen Patienten mit einer Infektionskrankheit! Und Pantelej war immer kerngesund.«
    Ohne sich zu verabschieden, zog Terentjew von dannen . A uf Glebs verspätetes Winken reagierte er nicht mehr. Die schlimme Nachricht hatte ihn schwer erschüttert.
    Aurora zog ihren Weggefährten am Ärmel. Sie mussten sich beeilen.
    Den halsbrecherischen Spurt über den mit Waren vollgestellten Bahnsteig hätten die beiden sich sparen können: Der Handelstross, der aus zwei zusammengehängten Motordraisinen mit offenen Ladeflächen bestand, stand noch immer friedlich auf dem Gleis, und daneben lagen Teile des Motors auf einem öligen Lappen. Eine baldige Abfahrt konnte man getrost vergessen.
    Stepan Kostroma erwies sich als kräftig gebauter Mann mittleren Alters mit einem pechschwarzen Bart und buschigen Augenbrauen. Er machte einen ziemlich mürrischen und nicht gerade gesprächigen Eindruck. Gleb rätselte, ob »Kostroma« sein Nach- oder Spitzname war. Früher hatte es wohl mal eine Stadt dieses Namens gegeben. Womöglich war Stepan dort geboren? Der Junge hielt es für besser, nicht nachzufragen. Der Trossführer wirkte auch so schon genervt wegen des kaputten Motors, der zum ungünstigsten Zeitpunkt den Geist aufgegeben hatte.
    Neben dem Bärtigen hockte eine nicht mehr ganz junge Frau, die eine graue Strickbluse, Arbeitshose und ein völlig ausgewaschenes Kopftuch trug. Sie reichte Stepan die Schraubenschlüssel.
    »Guten Tag. Dauert es noch länger bis zur Abfahrt?«, erkundigte sich Gleb.
    Die Unbekannte sah kurz auf und wandte sich dann wieder ihrer Beschäftigung zu, als hätte sie die Frage überhört.
    »Was guckst du? Sie ist stumm.« Kostroma richtete sich auf, wischte sich mit der schwieligen Pranke den Schweiß von der Stirn und sah die Passagiere, die man ihm aufgedrängt hatte, missmutig an. »Setzt euch irgendwo in der Nähe. Ich rufe euch, wenn Motor wieder geht.«
    Es blieb nichts übrig, als zu warten.

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