Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Reise ins Licht

Die Reise ins Licht

Titel: Die Reise ins Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Djakow
Vom Netzwerk:
Staub dunkel geworden waren und an denen noch Fetzen verwitterter Kleidung klebten. Unheimliche, grinsende Schädel.
    »Verflucht! Wie muss man das Leben hassen, um so was hier …« Schamans Lippen zitterten.
    Gleb hatte schon früher gelegentlich Leichen gesehen. Einmal sogar ein menschliches Skelett. Vor einem Jahr war ein Kauz von der Moskowskaja , der ordentlich gebechert hatte, in einem Verbindungsgang nicht weit von der Station eingeschlafen. Nach einigen Tagen fand man ihn: es waren nur noch Knochen übrig, fein säuberlich von den Ratten abgenagt.
    Aber um so was hier … Was war nur im Bewusstsein der Menschen passiert, dass sie sich gleichsam über Nacht verwandelt hatten in … »Bastarde«, wie Taran sich ausgedrückt hatte.
    Der Junge wandte sich an seinen Meister, der auf einmal neben ihm stand: »Warum haben die Menschen das gemacht? Warum haben sie einander umgebracht? Hier ist etwas Furchtbares geschehen.«
    »Der menschliche Hass hat viele Masken«, antwortete Bruder Ischkari anstelle des Stalkers in seinem typischen Singsang. »Dies hier ist eine davon.«
    »Aber das ist doch nicht richtig. Es kann nicht überall so sein.«
    »Woher nimmst du diese Gewissheit, Gleb?«, entgegnete Taran und schüttelte den Kopf. »In dieser Welt ist schon seit zwanzig Jahren nichts mehr richtig.«
    »Ich weiß nicht. Ich würde nur gern daran glauben, dass es noch etwas anderes geben muss. Etwas Gutes. Normale
Menschen, eine saubere Erde …« Der Junge schloss verträumt die Augen. »Einen Ort finden, wo alles anders ist!«
    Der Stalker schmunzelte. »Wo ist das Problem? Such ihn doch einfach!«
    »Aber wo?« Gleb blickte seinen Meister aufgeregt an. »Und wie?«
    Taran wurde mit einem Mal sehr ernst. »Das spielt keine Rolle. Wenn du beschlossen hast, etwas zu tun, dann mach den ersten Schritt. Und hab keine Angst vor dem nächsten. Der einzige Fehler, den du machen kannst, ist, nichts zu tun. Du brauchst nur dein Ziel fest ins Auge zu fassen – alles andere schlag dir aus dem Sinn.«
    Die Worte des Stalkers berührten etwas tief im Innern des Jungen. Oft hatte er sich in seinen Träumen vorgestellt, wie die Städte vor der Katastrophe ausgesehen hatten. Nun wurde ihm deutlich bewusst, was er sich am meisten wünschte. Solange er die Kraft dazu hatte, würde er nach einem unversehrt gebliebenen Stück Erde suchen. Schon allein um das Andenken an seine Eltern zu ehren, die stets davon geträumt und ihm seinerzeit mit bebender Stimme die erstaunlichsten Dinge von der verlorenen Welt erzählt hatten.
    Gleb sah Taran direkt in die Augen. »Danke.«
    »Wofür?«, fragte sein Meister ein wenig ironisch.
    »Dafür, dass Sie mich auserwählt haben.«
    »Aha, allmählich kapierst du es«, bemerkte der Stalker schnaubend und wandte sich Kondor zu. »Es ist zu gefährlich, hierzubleiben. Wir müssen weiter.«
    Kondor nickte. »Los, Leute, was steht ihr hier rum! Habt ihr noch nie Knochen gesehen? Gehen wir!«

     
     
    Ein neuer Gewaltmarsch folgte. Von Taran geführt, entfernte sich der Trupp immer weiter von der Kaskade. Sie schlugen sich durch den Uferdschungel, wobei sie einige Male verstärkter Strahlung ausweichen mussten.
    »Das ist die Untere Straße.« Taran zeigte Kondor im Laufen die Karte. »Wir laufen an der Kläranlage vorbei und kommen dann auf die Oranienbaumer Chaussee. Hier biegen wir zum Ufer ab. Von dort sind es nur noch 500 Meter bis zum ›Raskat‹ Ref. 28 .«
    Schon wieder ein unbekanntes Wort – Gleb machte sich eine geistige Notiz. Offenbar war ihre heutige Etappe bald zu Ende. Der Gedanke an eine Rast machte Gleb plötzlich bewusst, wie sehr ihn der Tag erschöpft hatte. Der Junge lief und wünschte sich nur eines: dass sich ihnen niemand mehr in den Weg stellen würde.
    Die feindliche Welt an der Oberfläche hatte anscheinend beschlossen, den ungeladenen Gästen eine Atempause zu gönnen. Der Trupp lief ohne Hindernisse die skizzierte Marschroute entlang. Zwischen den Kronen der knorrigen Bäume wurde die Spitze eines hohen Eisenturmes sichtbar. Je mehr die Gefährten sich dem Ufer näherten, desto massiver und imposanter wurde die rot-graue Säule. Im oberen Bereich hatte der Turm eine zylindrische Verdickung mit Aussichtsfenstern nach allen Seiten. In der Stahlverkleidung des Fundaments waren deutlich tiefe, parallele Furchen zu erkennen – wie das Autogramm eines unbekannten Raubtiers.
    »Was ist das für ein Turm?«, fragte Okun den Wegführer.
    »Das ist ›Raskat‹, die Leitzentrale

Weitere Kostenlose Bücher