Die Reise ins Licht
Gespräch plätscherte langsam Wort für Wort dahin, während Schaman, ohne auf die fröhliche Runde zu achten, weiter mit Hochdruck an den Überresten der Apparatur herumwerkelte.
Gleb saß neben Taran, die müden Beine ausgestreckt. Über all dem Seemannsgarn, das die Stalker spannen, hatte er seine Büchse mit dem dampfenden Fleisch schon fast vergessen. Erst als sein Meister ihm einen vieldeutigen Blick zuwarf, griff er sich eilig einen Löffel und machte sich ans Essen, folgte aber weiter aufmerksam dem Verlauf des Gesprächs.
»Und dann war da noch diese Geschichte …« Natürlich war es Ksiwa, der wie gewöhnlich seine Redekunst zur Schau stellen musste. »Damals waren Sergej Domkrat und ich unterwegs, um uns irgendwo Zeitschriften zu besorgen.«
»Zeitschriften?«
»Logisch, Zeitschriften . Die Mädels bei uns konntest du ja an den Fingern abzählen …«
Okun prustete los, während er den Tee ausschenkte. Nata verzog angewidert das Gesicht, behielt jedoch die bissige Bemerkung, die ihr auf der Zunge lag, für sich.
»Wir durchstöbern also den Nebenraum eines Buchladens, stopfen die Rucksäcke bis oben hin voll und marsch zurück. Kurz vor dem Eingang zur Metro sehen wir plötzlich auf der Kreuzung so einen Typen im langen Büßerhemd. Mitten auf der Straße steht er da, starr wie eine Säule. Unter der Kapuze nichts zu sehen, rein gar nichts. Wir rufen zu ihm rüber: ›Bruder, von welcher Station bist du?‹ Er schweigt, wie ein Fisch auf dem Trockenen! Was sollten wir machen? Wir lassen ihn stehen und sind schon beinah wieder in der Metro. Ich geh als Letzter. Plötzlich reitet mich der Teufel, und ich schau mich um. Und vor meinen Augen macht dieser komische Typ auf einmal einen Wahnsinnssprung bis auf ein Hausdach!«
»Das Märchen kannst du jemand anderem erzählen!«
»Ich schwör’s!« Ksiwa beugte sich vor und gestikulierte wild. »Der ging nur kurz in die Hocke und dann hat er diesen Satz gemacht! Über die Kante, und weg war er!«
»Alles Aufschneiderei …«
»Mich soll die Strahlung erwischen, wenn ich lüge! Fragt doch Taran! Hör mal, Stalker, du hast doch bestimmt auch schon mal so einen Freak gesehen?«
Taran schwieg kurz, dann antwortete er: »Habe ich nicht.«
Okun grinste. Nata zog die Augenbrauen zusammen und nickte, als wollte sie sagen: »Schon gut, Junge, fabulier ruhig weiter.« Ksiwa fand das jedoch überhaupt nicht witzig. Das Verhalten seiner Gefährten kränkte ihn.
»Ihr habt doch keine Ahnung! Ich hab mir damals vor Angst beinah in die Hose gemacht. Obwohl die Metro gleich in der Nähe war. Und dieser Typ wollte ja auch nichts von uns.« Ksiwa schien durch seine Gesprächspartner hindurchzusehen. Sein Blick war niedergeschlagen und verwirrt zugleich. »Steht einfach da und springt plötzlich. Wahnsinn.«
Die Kämpfer verstummten und sahen in das winzige Feuer des Kochers.
»Taran, hast du eigentlich manchmal Angst?«, fragte Nata plötzlich.
Es hatte so ausgesehen, als schliefe der Stalker. Doch nein, er rührte sich, hob den Kopf und blickte das Mädchen an, müde und zugleich … angespannt.
»Habe ich. Man muss schon ein Idiot sein in diesem Leben, um sich nicht zu fürchten.«
»Wann hattest du am meisten Angst?«
Gleb erstarrte und lauschte auf jedes Wort. Der Meister schwieg, den Blick auf einen Punkt geheftet. Die Finger zitterten hin und wieder, verrieten seine Anspannung. Der Junge war sich sicher, dass der Stalker das Mädchen gleich zum Teufel schicken würde. Doch zu Glebs Überraschung begann Taran langsam eine schwermütige Geschichte zu erzählen.
»In jenem Jahr ging gerade meine Dienstzeit zu Ende. Ich kehrte nach Piter zurück. Ständig luden mich Bekannte und Freunde zu sich ein. Klar war das für die eine Ehre, einen Berufssoldaten, gerade aus einer Krisenregion zurück, zum Kumpel zu haben. Wir haben anständig gefeiert – das Geld, das ich in fünf Jahren verdient hatte, war schnell ausgegeben. Ich musste mir eine Arbeit suchen, aber wer brauchte schon jemanden ohne Berufserfahrung? Ich bin dann in einem Krankenhaus als Wachmann untergekommen. Für einen Hungerlohn, der kaum für eine Mietwohnung reichte. Da bot mir der Chefarzt einen Nebenverdienst an: Ich sollte den Bombenschutzkeller des Krankenhauses in Ordnung bringen. Also habe ich renoviert. Am Anfang war es ungewohnt, aber dann habe ich mich eingearbeitet. Ich lernte zu verputzen, zu malern, zu tischlern. Der Bombenkeller wurde dann abgenommen und ausgestattet. Der
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