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Die Reise Nach Petuschki

Titel: Die Reise Nach Petuschki Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wenedikt Jerofejew
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einschließlich der neunten wurde ich zusehends weicher in den Knien. Ich wurde so weich, daß mir bei der zehnten Dosis ebenso unaufhaltsam die Augen zufielen. Und, was dachte ich in meiner Naivität? Ich dachte, daß ich mich mit Willenskraft dazu zwingen müßte, den Schlaf zu besiegen und die elfte Dosis zu trinken. Dann, meinte ich, müßte sich eine Rückgewinnung der Männlichkeit einstellen. Aber nein, nichts dergleichen! Keinerlei Rückgewinnung, ich hab's versucht.
    Ich schlug mich drei Jahre lang mit diesem Rätsel herum, täglich, und schlief doch täglich nach der neunten Dosis ein.
    Des Rätsels Lösung war schließlich ganz einfach, nämlich: ihr müßt, nachdem ihr die fünfte Dosis getrunken habt, die sechste, siebte, achte und neunte in einem Zug trinken, allerdings ideell, das heißt, in der Vorstellung. Mit anderen Worten: ihr müßt durch pure Willenskraft und in einem Zug die sechste, siebte, achte und neunte nicht trinken.
    Nach einer Pause geht ihr dann unmittelbar zur zehnten Dosis über, und genauso wie die Neunte Sinfonie von Anton Dvorak, die faktisch Neunte, üblicherweise als die Fünfte bezeichnet wird, genauso müßt ihr es machen: ihr müßt die sechste einfach als zehnte bezeichnen, und dann, glaubt mir, von da an werdet ihr ungehindert an Männlichkeit zunehmen und zunehmen, von der sechsten (zehnten) bis hin zur achtundzwanzigsten (zweiunddreißigsten). Das heißt, ihr werdet so lange an Männlichkeit zunehmen, bis ein Stadium erreicht ist, wo Besinnungslosigkeit und Schweinerei ihren Lauf nehmen. Nein, wirklich, ich verachte die Generation, die nach uns kommt. Sie erfüllt mich mit Angst und Abscheu. Die würde auch ein Maxim Gorkij nicht mehr besingen wollen, nicht dran zu denken. Ich behaupte ja nicht, daß wir in deren Alter alle mit einem Heiligenschein herumgelaufen sind, Gott bewahre! Von Heiligenschein war bei uns nicht viel zu sehen, aber wie viele Dinge gab es dafür, die uns nicht scheißegal waren, aber denen — denen ist einfach alles scheißegal.
    Warum könnten die sich zum Beispiel nicht so beschäftigen: Ich habe in ihrem Alter mit großen Pausen getrunken, das heißt ich trank, trank und trank und machte dann eine Pause. Danach trank, trank und trank ich wieder und machte wieder eine Pause. Deshalb kann ich leider nicht beurteilen, ob die morgendliche Depression mehr Inbrunst hat, wenn sie zur täglichen Gewohnheit wird, das heißt, wenn man von sechzehn Jahren an täglich um sieben Uhr abends seine vierhundertfünfzig Gramm trinkt. Doch würde man mir meine Jahre zurückgeben und könnte ich mein Leben nochmal von vorn beginnen, ich würde das auf jeden Fall ausprobieren. Doch sie, was tun sie?...
    Und wenn es nur das wäre! Aber wie viele Geheimnisse bergen noch andere Sphären des menschlichen Lebens! Stellt euch zum Beispiel das vor: An einem Tag trinkt ihr von morgens bis abends ausschließlich Klaren und sonst nichts, am anderen Tag ausschließlich Rotweine. Am ersten Tag werdet ihr um Mitternacht wie besessen sein. Ihr werdet um Mitternacht so feurig sein, daß in der Johannisnacht die Mädchen über euch drüberspringen. Mit Begeisterung. Vorausgesetzt natürlich, daß ihr von morgens bis abends ausschließlich Klaren getrunken habt.
    Und was passiert, wenn ihr von morgens bis abends ausschließlich schwere Rotweine trinkt? Die Mädchen werden in der Johannisnacht nicht daran denken, über euch drüberzuspringen. Sogar umgekehrt: würdet ihr in der Johannisnacht den Versuch machen, über ein Mädchen drüberzuspringen, würdet ihr das garantiert nicht schaffen, geschweige denn was anderes. Natürlich nur unter der Voraussetzung, daß ihr von morgens bis abends ausschließlich Roten getrunken habt!. ..
    Ja, ja! Und wie verheißungsvoll sind die Experimente auf ganz speziellen Gebieten! Nehmen wir zum Beispiel den Schluckauf. Mein Landsmann Solouchin, der alte Dummkopf, will euch in den Wald locken, Pfifferlinge sammeln. Hört nicht auf ihn! Pfeift auf seine Pfifferlinge! Laßt uns uns lieber mit dem Schluckauf beschäftigen, ich meine mit der Erforschung des Säuferschluckaufs unter mathematischen Aspekten...
    »Du lieber Gott!« schreit es von allen Seiten auf mich ein. »Gibt es denn auf der Welt gar nichts anderes, was eventuell
    »Nein, eben nicht«, schreie ich nach allen Seiten zurück. »Es gibt nichts! Nichts anderes, was eventuell!« Ich bin nicht blöd, ich weiß, daß es noch die Psychiatrie auf der Welt gibt und die außergalaktische Astronomie

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