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Die Reise Nach Petuschki

Titel: Die Reise Nach Petuschki Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wenedikt Jerofejew
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diesen Herzen«, grunzte plötzlich jemand aus der rechten Ecke. Wir zuckten alle zusammen und sahen nach rechts. Es war Amor im Overcoat, der gegrunzt hatte. »Er hätte schon in Chrapunowo aussteigen müssen, dieser Herzen, aber er fährt immer noch, der Hundesohn...!«
    Alle, die noch konnten, brachen in Gelächter aus: »Laß ihn doch in Ruhe, verdammt, du Arsch von Dekabrist!« »Zieh ihm die Ohren lang!« »Ist es nicht egal, ob der Alte nach Chrapunowo fährt oder nach Petuschki? Vielleicht hat er Lust gekriegt, nach Petuschki zu fahren, und du jagst ihn nach Chrapunowo!« Alle hatten inzwischen Schlagseite und schwankten unmerklich und vergnügt, unmerklich und unanständig. Und ich schwankte mit ihnen ... Ich wandte mich an den schwarzen Schnurrbart: »Angenommen, sie haben also Alexander Herzen aufgeweckt, was haben die Demokraten und die ›Chowanschtschina‹ damit zu tun?« »Die haben sehr wohl was damit zu tun. Damit hat alles angefangen - die Fuselpantscherei statt »Veuve Clicquot«, der Vormarsch der Nichtadeligen, die Ausschweifung und die ›Chowanschtschina‹. Diese ganzen Uspenskijs und Pomjalowskijs konnten doch ohne Flasche keine einzige Zeile mehr schreiben! Ich habe es gelesen, ich weiß Bescheid! Sie haben verzweifelt gesoffen! Alle aufrechten Menschen Rußlands! Und warum haben sie so verzweifelt gesoffen? Weil sie aufrecht waren, deswegen nämlich, weil sie das schwere Schicksal ihres Volkes nicht mildern konnten! Das Volk erstickte in Armut und Unwissenheit, das können Sie bei Dmitrij Pissarjew nachlesen! Er spricht es ganz deutlich aus: ›Das Volk kann sich kein Rindfleisch leisten, Wodka ist billiger. Deswegen trinkt der russische Muschik, die Armut treibt ihn in den Suff. Ein Buch kann er sich nicht kaufen, weil es auf dem Markt keinen Gogol und keinen Belinskij gibt, nur Wodka, staatlichen und anderen, zum Mitnehmen, zum Hiertrinken und so weiter. Deswegen trinkt er, wegen seiner Unwissenheit!«
    Wie soll man da nicht in Verzweiflung geraten, wie soll man da nicht vom Muschik schreiben, wie ihn nicht retten wollen, wie nicht aus Verzweiflung dem Suff erliegen! Der Sozialdemokrat schreibt und trinkt und trinkt und schreibt. Aber der Muschik liest nicht und trinkt, er trinkt, ohne zu lesen. Darauf steht Uspenskij auf und erhängt sich, und Pomjalowskij legt sich in der Kneipe unter den Tresen und krepiert, und Garschin steht auf und stürzt sich im Rausch über das Geländer Der Schnurrbärtige war aufgesprungen und hatte die Baskenmütze abgeworfen. Er gestikulierte wie ein Verrückter mit hochrotem Kopf, aufgeheizt vom Wodka. Selbst der Dekabrist im Overcoat hatte seinen Herzen vergessen, war näher an uns herangerückt und heftete seine trüben, wäßrigen Augen auf den Redner...
    »Seht doch selbst, was passiert! Das Dickicht der Unwissenheit wird immer undurchdringlicher. Die Verelendung wächst absolut! Habt ihr Marx gelesen? Jawohl, absolut! Mit anderen Worten, es wird immer mehr und mehr gesoffen. Und im gleichen Maße wächst die Verzweiflung der Sozialdemokraten. Da würde auch kein ›Lafite‹ und kein ›Clicquot‹ mehr helfen, um einen Herzen aufzuwecken. Das ganze denkende Rußland trauert um den Muschik und säuft, ohne aufzuwachen. Da kannst du Herzens ›Glocke‹ in ganz London schlagen, so laut wie du willst — in Rußland hebt keiner den Kopf: alle liegen in ihrer Kotze, erdrückt von ihren Sorgen!
    So geht es bis zu unserer Zeit, bis zum heutigen Tag. Dieser Kreislauf, dieser unglückselige Kreislauf des Lebens schnürt mir die Kehle zu! Ich brauche nur ein gutes Buch zu lesen, da weiß ich nicht mehr, wer weswegen trinkt: die Unteren, nach oben blickend, oder die Oberen, nach unten blickend. Und schon halte ich es nicht mehr aus: ich schmeiße das Buch hin und fange an zu saufen, einen Monat, zwei und dann
    »Stop!« unterbrach ihn der Dekabrist. »Geht es denn nicht ohne zu trinken? Kann man sich denn nicht zusammenreißen und nicht trinken? Der Geheimrat Goethe zum Beispiel hat überhaupt nicht getrunken.«
    »Nicht? Tatsächlich überhaupt nicht?« Der Schnurrbärtige erhob sich sogar und setzte seine Baskenmütze auf. »Das kann nicht sein!«
    »Das kann eben doch sein. Er konnte sich zusammenreißen und keinen Tropfen trinken »Sie meinen Johann Wolfgang von Goethe?«
    »Ja. Ich meine Johann Wolfgang von Goethe, der nie einen Tropfen getrunken hat.«
    »Merkwürdig... Und wenn ihm Friedrich Schiller was angeboten hätte? Ein Glas Champagner?«
    »Auch

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