Die Reise Nach Petuschki
die sind trübe. Ich habe mich etwas übernommen
»Nein, nein, Ihre Augen sind trübe vor Traurigkeit! Sie sind wie Goethe! Sie widerlegen mit Ihrem Anblick ein Lemma von mir, - ein etwas spekulatives, aber immerhin aus der Erfahrung gereiftes Lemma. Sie sind wie Goethe, Sie widerlegen »Mit den trüben Augen?«
»Ja, mit den trüben Augen. Hören Sie zu, worin mein heimliches Lemma besteht. Wenn wir abends trinken und am nächsten Morgen nicht trinken, wie fühlen wir uns dann abends und wie am nächsten Morgen? Wenn ich getrunken habe, bin ich lustig wie ein Teufel, aktiv, ungestüm und rastlos. Ja. Und am nächsten Morgen? Am nächsten Morgen bin ich nicht nur unlustig, nicht nur inaktiv, nein. Ich bin um soviel schwermütiger als ich normalerweise in nüchternem Zustand bin, als ich am Vorabend lustiger war, als ich normalerweise bin. Wenn ich am Vorabend vom Eros heimgesucht wurde, so ist mein morgendlicher Ekel genauso groß wie mein abendliches Glück. Was will ich damit sagen? Sehen Sie mal:
Und der Schnurrbärtige malte auf ein Stück Papier diesen Stuß da auf. Er erklärte: »Die horizontale Linie — das ist die Linie der üblichen Nüchternheit, das heißt die alltägliche Linie. Der höchste Punkt der Kurve — das ist der Augenblick des Einschlafens. Der niedrigste — der Augenblick des Erwachens aus dem Rausch ...
Sehen Sie, das ist doch die totale Symmetrie! Diese dumme Natur ist um nichts auf der Welt so eifrig besorgt, wie um das Gleichgewicht. Ich weiß nicht, ob diese Sorge moralisch ist, auf jeden Fall ist sie streng geometrisch. Diese Kurve hier zeigt uns nicht nur unseren Lebenstonus an, nein! Sie zeigt uns alles an. Abends Furchtlosigkeit, sogar wenn ein Grund vorhanden wäre, sich zu fürchten, Furchtlosigkeit und die Unterbewertung aller Werte. Morgens die Überbewertung aller Werte, eine Überbewertung, die in völlig unbegründete Angst übergeht. Wenn uns die Natur abends im Suff überreichlich bedenkt, dann zieht sie uns am nächsten Morgen mit mathematischer Genauigkeit genauso viel wieder ab. Hat man abends die Tendenz zum Idealismus — bitte sehr, am nächsten Morgen kehrt sich diese Tendenz genau ins Gegenteil, zum Antiidealismus. Selbst dann, wenn der Idealismus bestehen bleibt, ruft er eine Antitendenz hervor. Da haben Sie in zwei Worten mein heimliches Lemma ... Es ist allgemein gültig und auf jeden anwendbar. Aber bei Ihnen ist alles nicht so wie bei den anderen, bei Ihnen ist alles wie bei Goethe ...!«
Ich lachte: »Warum ist es denn ein Lemma, wenn es allgemein gültig ist?«
Der Dekabrist lachte auch: »Wie kann es denn ein Lemma sein, wo es doch allgemein gültig ist?«
»Es ist eben doch ein Lemma, weil es nämlich auf die Weiber nicht anwendbar ist. Auf den Menschen als solchen ist es anwendbar, aber auf die Weiber nicht! Mit dem Auf tauchen der Frau gerät jegliche Symmetrie durcheinander. Wäre die Frau keine Frau, wäre das Lemma kein Lemma. Das Lemma ist allgemein gültig, solange keine Frau da ist. Sobald eine Frau auftaucht, verschwindet das Lemma. Besonders dann, wenn die Frau schlecht ist und das Lemma gut.«
Alle fingen gleichzeitig an zu reden: »Was soll das überhaupt sein, ein ›Lemma‹? Und was ist eine »schlechte Frau«? Eine Frau kann nicht schlecht sein, nur ein Lemma kann schlecht sein.«
»Ich zum Beispiel«, sagte der Dekabrist, »habe dreißig Weiber, eins schmuddliger als das andere, obwohl ich keinen Schnurrbart habe. Sie haben einen Schnurrbart und deshalb wahrscheinlich eine gute, aber eben nur eine Frau. Trotzdem glaube ich, daß es besser ist, dreißig von den allerschlechtesten Weibern zu haben als eins von den besten
»Was hat denn der Schnurrbart damit zu tun? Wir reden von Weibern und nicht von Schnurrbärten!«
»Von Schnurrbärten auch. Gäbe es keine Schnurrbärte, würden wir nicht reden . ..«
»Der Teufel weiß, was Sie daherfaseln. Ich glaube jedenfalls, daß eine gute Frau genausoviel wert ist wie Ihre dreißig alle zusammen. Was halten Sie davon?« Der Schnurrbärtige wandte sich wieder an mich. »Was halten Sie davon, vom wissenschaftlichen Standpunkt?«
»Vom wissenschaftlichen Standpunkt«, sagte ich, »ist sie natürlich genausoviel wert. In Petuschki zum Beispiel kriegt man für dreißig leere Flaschen eine volle mit Kräuterschnaps. Und angenommen, man bringt ihnen ...« »Was? Eine für dreißig? Warum denn so viel?« ereiferten sich alle. »Na, weil es darunter keiner macht! Zwölf Kopeken Pfand pro
Weitere Kostenlose Bücher