Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Reise nach Trulala

Titel: Die Reise nach Trulala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaminer Wladimir
Vom Netzwerk:
Bürgermeisters geheiratet, und fast wäre er auch noch über dessen Sohn hergefallen.
    »Bis auf Weiteres bleibe ich erst einmal in Swetlogorsk«, teilte Martin seinem Freund mit. Er müsse erst einmal sein Fahrrad suchen, das er irgendwo im Ural abgestellt hätte. Der Bürgermeister meinte dazu, es wäre besser, zu warten, bis der Schnee geschmolzen wäre, und dann erst mit der Suche zu beginnen. Martins Pass und die Landkarte waren auch weg.
    »Ich bleibe also in Swetlogorsk und komme erst im Frühling nach Deutschland zurück«, schrieb er. Thomas war erleichtert. Ich dagegen war stinksauer: Wie hatte ich mich nur so irren können! Und meine hundert Mark waren auch weg. Meine Frau dagegen freute sich, als wäre Martin ein Pferd, auf das sie gesetzt hatte.
    »Aber zurück schafft er es nie«, sagte ich.
    »Mal sehen«, meinte sie, und noch einmal landeten zwei Hunderter in der Vase.
    Der Frühling ging zu Ende, der Sommer auch, von Martin kam noch immer keine Nachricht. Der Radfahrer tat mir Leid, gleichzeitig war ich stolz, mindestens diese eine Wette gegen meine Frau gewonnen zu haben. Sonst verlor ich jeden Monat aufs Neue: Egal worauf ich setzte, meine Vermutungen erwiesen sich immer als falsch. Einmal hatte ich gewettet, dass die ukrainische Fußballnationalmannschaft gegen die Deutschen in Dortmund gewinnen oder mindestens unentschieden spielen würde: Die Ukrainer, die fast bis zur Ohnmacht von ihren ehrgeizigen Trainern gequält worden waren und nichts zu verlieren hatten, mussten meiner Meinung nach einfach wie die Tiere gegen die Deutschen kämpfen und gewinnen. Außerdem hatte man in allen ukrainischen Zeitungen gelesen, dass die Spieler seit Wochen mit einer Extraportion Speck gefüttert worden waren und dass sich der ukrainische Präsident persönlich an die Mannschaft gewandt hatte: »Ohne Sieg braucht ihr nicht zurückzukommen.« So etwas Ähnliches hatte er gesagt. Das alles nützte aber nichts, denn die Ukrainer spielten in Dortmund schlechter denn je. Sie bewegten sich auf dem Feld wie Winterfliegen zwischen Fensterscheiben und verloren vier zu eins. Ob die Mannschaft dann zurück nach Hause gefahren und vom Präsidenten exekutiert worden oder doch irgendwo am Rhein stecken geblieben war, wollte ich gar nicht mehr wissen.
    Kurz danach stürzten die WTC-Türme in New York ein. Der amerikanische Präsident Bush erklärte im Fernsehen dem Weltterrorismus den totalen Krieg. Er war so sauer, dass ich sofort mit meiner Frau wettete, die Amerikaner würden den Terroristenanführer Bin Laden bis Weihnachten fassen, spätestens bis Silvester, ganz sicher aber bis zum Tag der russischen Armee und der Flotte. Aber nichts geschah. Und ich verlor eine Menge Geld, während Bin Laden sein Teufelswerk unbehindert weitertrieb. Und der amerikanische Präsident? Statt Terroristen zu jagen, fiel er vom Sofa und holte sich eine Beule. Die offizielle Version lautete, er habe sich beim Fernsehen an einer Brezel verschluckt, sei ohnmächtig geworden und gegen die Teppichkante gefallen. Natürlich glaubte das niemand. Wahrscheinlich war der Mann einfach betrunken gewesen.
    So einen Bush hatten wir in Russland fast zehn Jahre lang gehabt. Bei uns hieß er Boris Jelzin und war ein Weltmeister in Sachen Selbstverstümmlung. Jede Beule an seinem Kopf ließ die wildesten Spekulationen im Volk aufkommen. Einmal, als er mit einem blauen Auge auf dem Fernsehschirm erschien, hieß es, der Präsident sei aus Versehen von einer Brücke gerutscht, als er in der Nähe seiner Datscha spazieren gegangen war. Doch das Volk wollte einfach nicht glauben, dass sein Präsident so blöd war, eine Brücke zu übersehen. Man munkelte, es sei in Wirklichkeit ein Attentat auf ihn verübt worden: Zwei Monarchisten, die gegen Demokratie und Reformen waren, hätten unseren Präsidenten von der Brücke geschubst. Er überlebte aber und machte brav mit seinen Reformen weiter.
    Ein andermal traf sich Jelzin mit dem chinesischen Premierminister. Die beiden Staatsmänner standen vor den Kameras und schüttelten einander die Hände. Dann wollte Jelzin plötzlich seine Gastfreundschaft zum Ausdruck bringen und klopfte dem chinesischen Premier richtig doll auf die Schultern. Diese Geste war laut Protokoll überhaupt nicht vorgesehen und kam für den chinesischen Gast völlig unerwartet. Er kippte um. Das Volk sah es und war im Großen und Ganzen stolz auf seinen Präsidenten. Doch am übernächsten Tag erschien statt des chinesischen Premierministers

Weitere Kostenlose Bücher