Die Reise zum Ich
sie gespannt. Eines der beiden hat einen gewaltigen Schädel, wie ein Elefant - ein bißchen komisch -, und von seiner Brust
hängen
verschlungene
pflanzenähnliche
Gebilde
herab.
Wenn das Tier sich bewegt, beginnen auch sie zu baumeln.
Ich finde es komisch und widerlich zugleich.
›Ahmen Sie es nach. Seien Sie selbst dieses Tier«, sagt
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der Doktor. Ich merke, daß ich dazu nicht fähig sein werde.
Ich lege meine Beine aneinander und versuche es, doch es
gelingt mir nicht. Ich wehre mich dagegen, ich will nicht, ich
kann nicht. Ich zittere. Das ist unmöglich. Ich fühle, er will,
daß ich tanze. Hat er es gesagt, oder bilde ich mir das nur ein?
Ich will nicht tanzen. Mir ist nicht danach. Er besteht darauf:
›Seien Sie selbst dieses Zittern.‹ Schließlich versuche ich zu
gehorchen. Ich hebe die Arme und schicke mich drein,
komme was da wolle. Ich beginne zu zittern und fühle, daß
meine beiden Arme eine Flamme bilden; sie strahlen Licht
aus. Eine Energie von oben setzt sie in Bewegung, fügt sie
zusammen, und nun drehen und drehen sie sich wie elektrifiziert, ich habe nicht die Macht sie zu stoppen . . . Meine Arme brennen. Sie sind Feuer und drehen sich weiter. Ich
falle zu Boden, die Arme noch immer hoch gereckt, und nach
und nach hören sie auf, sich zu drehen und fallen herab,
während mich ein unendlicher Friede erfüllt. Ein süßer, stiller Friede . . .
Ich fühle, daß ich ohne Worte verstehe, was ich zuvor nicht
wußte. Dies ist Bewußtheit. Größer und tiefer als je zuvor.
Ich begreife viele unaussprechliche Dinge. Ich habe noch
nicht gewußt, wie man liebt. Ich habe gelebt, ohne zu leben.
Ich sehe meinen kleinen Verstand als Bruchteil meines ich
bin. Verstehen, Bewußtsein - es ist ein und dasselbe. Es gibt
keine Worte, nur unendliches Verstehen in jenem zeitlosen
Augenblick.«
Dies ist ein typisches Beispiel für die Welt des Ibogain, für ihre
helle wie ihre dunkle Seite: der weiße Lichtstrahl und die Hölle
mit den Ungeheuern, die Sonne, der schwarze Teich und das
verborgene Krokodil. Außerdem sehen wir himmlische und
höllische Szenen im Wechsel: Der anfängliche Wutausbruch
(sie meinte, er sei wie eine Vulkaneruption gewesen) wird von
einer lichtvollen Episode abgelöst. Freudig beginnt sie, mit den
Händen auf den Fußboden zu klopfen, doch dann treten die
Neger auf. Lange vermag sie die Furcht vor dem Unbekannten
und Primitiven nicht zu ertragen; die Bilder verblassen, und als
sie zur Ruhe zu kommen versucht, sieht sie Licht durch das
Fenster des Turms fallen. Auf der Höhe dieser angenehmen
Episode hat sie das Gefühl, daß sie umhergeht, aufsteht - dann
bricht Dunkelheit herein. Diesmal nimmt der Prozeß nicht von
selbst ein Ende. Sie wendet sich ab, hält nicht durch. Die
Nichtvollendung der Erfahrung scheint sie zu einer anderen
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düsteren Szene zu führen, als wäre da etwas, das sie nur im
Dunkel assimilieren könne. Jetzt scheint das Schlimmste vor
über zu sein, oder aber sie ist desensitiviert gegen die Angst
dank ihrer Anstrengung, sie durchzustehen. Nun kann sie diesen Monstren wenigstens ins Auge sehen und trotz ihres Widerwillens doch Gleichmut bewahren. Wieder ist es Bewegung, die sie am nachhaltigsten beeindruckt, bei den Negern wie beim
Hin-und-her-Wechseln des Krokodils. (Die Leuchtfarben der
Bilder und das »Elektrisiert-Sein« verraten die gleiche Dynamik). Die visuelle Konfrontation scheint jetzt zu Ende, da sie das Untier nun detailliert zu beschreiben und das dadurch
ausgelöste Unbehagen zu ertragen vermag. Jetzt geht es darum,
diesem »Monstrum« den angemessenen Platz in ihrem Innern
zuzuweisen, denn dieses Fabeltier kann nur aus ihrer eigenen
Realität hervorgegangen sein. Interessanterweise steht Zittern
hier gleichbedeutend für Tanzen. Und offensichtlich ruft der
Akt des Zitterns beziehungsweise Tanzens lebhaften Widerstand bei ihr hervor. Schließlich gibt sie nach; ich sage »nachgeben«, weil sie sich in diesem Augenblick nicht mehr als vorsätzlich handelnd oder ausagierend empfindet, sondern als passiv von einem regelrechten Drang bewegt. Und in dem Augenblick, da sie zu zittern beginnt, erfolgt der Übergang aus der Welt der Chimären in die des Lichts, das nun ihrem eigenen
Leib entspringt.
Das Gefühl der Wut bei Einsetzen der Drogenwirkung, das
sinnliche Trommeln der Primitiven, das Krokodil mit seinen
elektrisierten Bewegungen und das sprunghafte Ungetüm, sie
alle verweisen in
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