Die Reise zum Ich
Sprung in die Gefahrenzone zu wagen, zu ersetzen, wenn die Barriere zu hoch ist. Die Bilder
werden verblassen (wie beim nächsten Beispiel der Fall) oder
an Gefühlsgehalt verlieren. Doch kann ein sanfter Anstoß von
außen zumindest den Engpaß aufdecken oder sogar zur Eroberung eines Stückchens festen Bodens unter den Füßen verhelfen. Dieser Anstoß mag in Richtungsweisen, Ermutigung oder Appell an die Aufmerksamkeit in einem Augenblick bestehen,
da die Unerfreulichkeit der Erfahrung den Analysanden dazu
veranlassen könnte, den Blick abzuwenden. Zu gewissem Grad
erfolgt solch eine Hilfe schon allein durch die Anwesenheit des
Therapeuten, die dem Patienten die notwendige Sicherheit verleiht, um locker zu lassen und mit gewissen Bereichen seiner Innenwelt in Kontakt zu treten. Bisweilen kann auch das aktive
Interesse des Therapeuten am Erfahrungsinhalt das Desinteresse des Patienten an kritischen Punkten ausgleichen und ihn vor dem Teufelskreis der Selbstverurteilung und psychischen
Lähmung bewahren. Während der Patient unseres letzten Falles fähig war, der imaginierten Gefahr zu begegnen und auch von der inneren Weisheit seines Unbewußten dazu getrieben
wurde, dies ohne Anweisung zu tun, waren im nächsten Fall
fortgesetzte Weisungen vonnöten, um die Patientin über längere Zeiträume hinweg zur Konfrontation zu bewegen, damit sie sich mit den bedrohlichen Erscheinungen vertraut machen
konnte.
Bei dieser Ibogain-Sitzung handelte es sich um eine neunund-
dreißigjährige Frau. Sie begann mit einem Wutausbruch der
Analysandin, der sich gegen ihre Schwester richtete, die, wie sie
meinte, ihr nicht vertraut, sie nicht geliebt und nicht verstanden
habe. In gleicher Wut wandte sie sich (imaginierend) dann
anderen Familienangehörigen und schließlich ihrem Mann zu,
den sie mit erhobener Stimme zur Rede stellte. Zu guter Letzt
rief sie laut: »Ich bin frei! Was für ein Gefühl der Erleichterung!« Dann folgte eine Phase des »weißen Lichts«, auf die wiederum Panikstimmung folgte: Sie befand sich unter einem
trommelschlagenden Negerstamm. In Wirklichkeit eine überdisziplinierte, überkultivierte Person, sah sie sich nun als Primitive mit aufgelöstem Haar und einem Rock aus Baststreifen, die ebenfalls eine Trommel schlug. Dann brach diese Szene ab;
sie wurde wieder von einer »Lichtszene« abgelöst:
208
»Ein Lichtstrahl kommt von oben. Er fällt durch das Fenster
eines hohen Turms. Jenseits sehe ich den Himmel, intensiv
blau, mit weißen Wolken. Jetzt fällt ein weiterer Lichtstrahl
von einem hohen Berg herab, und während dieses goldfarbene Licht näher kommt, verschwindet das andere. Jetzt ist es ganz fort, und eine riesige rötlich-orangefarbene Sonne
nähert sich mir. Sie erhellt die Wüste und auch den Raum, in
dem ich bin. Nach und nach ist alles vom rötlichen Schein
überflutet. Der Raum erwärmt sich und wird unerhört schön.
Die Sonne umfängt mich und verleiht mir ihr Licht und ihre
Wärme. Ich habe das Gefühl, als ob ich gehe, im Zimmer auf
und ab wandre, und wenn ich aufstehe, sehe ich, daß ich an
einem schwarzen Ort bin - wie ein Teich mit dunklem Wasser. Aus ihm ragt nur ein ganz kleines Stück Boden hervor.
Auf ihm sind der Doktor und ich.
Entsetzlich! Neben uns taucht aus dem Wasser ein gräßliches
Ungeheuer auf. Wie ein mitten durchgeschnittenes Krokodil. Knallgrün. Von der Seite ist sein Auge das eines bläulich schimmernden Papageis mit einem gekrümmten Schnabel.
Und der Schwanz des Krokodils ist kein richtiger Krokodilschwanz, er besteht aus schwarzen Federn. Am meisten ängstigten mich seine Augen und seine Bewegungen, wenn es wie elektrisiert mal hierhin, mal dorthin flitzt. Kaum bin ich
ihm entkommen, taucht es plötzlich an einer anderen Stelle
auf. Ich schreie und höre den Arzt dabei sagen: ›Blicken Sie
ihm ins Auge. Keine Angst. Lassen Sie es auf sich zukommen.« Aber meine Angst ist größer als der Wunsch, dem Arzt zu folgen, ich bringe es nicht fertig. Ich schließe die Augen
und sehe es immer wieder auftauchen -hier-da-tack-tack-
tack . . .ich kann diese Angst nicht ertragen.
Nun bin ich in einer riesigen Höhle, in der sich zwei Pfade
kreuzen. Zwei gewaltige Tiere kommen Seite an Seite daher.
Sie sind von leuchtendem Blaßgrün und haben etwas Pflanzenartiges, von der Form eines Kaktus. Mit körniger Haut.
Widerwärtig. Ich staune, fürchte mich aber nicht. Der Arzt
sagt: ›Weichen Sie ihnen nicht aus.« Ich betrachte
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