Die Reise zum Ich
repräsentativ für die gesamte Niederschrift der Bandaufnahme gelten. In Monologform berichtet die Patientin, was sie sieht, ohne daß eine Logik 138
der Bildfolge sichtbar wird:
»Ich sehe einen weißen Vogel.
Ein Kreuz.
Eine Lampe mit violetten Tränentropfen - aus Glas.
Es klingelt in meinen Ohren.
Ich sehe zwei Kristallkugeln, wie glitzernde Lampen.
Ich sehe Sand an einem Strand und Schaufeln, die ihn aufwerfen.
Ich sehe einen roten Fetzen.
Ich sehe das Bild eines alten häßlichen Mannes, der Kugeln
mit dem Mund herstellt.
Viele Lichter, die sich widerspiegeln, und dann Hell und
Dunkel im Wechsel. Türkisfarbene Lichter ziehen an mir
vorüber, in der Mitte sind sie grün.
Den schwarzen Tränentropfen einer Lampe, die sich dreht.
Ich sehe eine strahlende Sonne.
Ich sehe das Gesicht der Bestie in Die Schöne und die Bestie.
Einen großen schwarzen Klecks.
Eine Landkarte. Als erstes sehe ich Amerika, dann Europa -
Italien.
Ich sehe farbige Glasfenster.
Ich sehe nur Lichter. Glitzernde Lichter, viele Laternen in
rot, grün und gelb.
Einen Perserteppich mit rotem Untergrund und vielen
Formen.«
Wem die Welt des Harmalin einigermaßen vertraut ist, der
erkennt hier die charakteristischen Themen: den Vogel als
allererstes; dann den Archetyp des Kreuzes mit seiner religiösen Nebenbedeutung und seiner impliziten Bedeutung von Schnittpunkt, Zentrum und dessen Ausdehnung nach draußen:
die sich drehende Lampe, wieder die Zentralität symbolisierend; die strahlende Sonne, noch einmal als Quelle, die das Element des Lichts betont. Indes, trotz ihres Potentials, ihrer
verborgenen Bedeutung, reihten sich die Bilder aneinander,
ohne ihren verhüllten Schatz zu offenbaren, während die Zuschauerin sie ziemlich unbeteiligt vorüberziehen ließ.
In Fällen wie diesen sollte der Therapeut bisweilen mit einsteigen und dem Patienten behilflich sein, sich die im visuellen Symbol verkörperte Erfahrung zu erschließen, und zwar weniger durch Interpretieren, was den wichtigen primären Prozeß stören würde, als durch Förderung seiner inneren Anspannung.
Denn allein durch intensivierte Konzentration, wird man ent139
decken, daß sich die fließenden Bilder in sinnvoller Folge entfalten; nur wenn man ihnen »lauscht«, »sprechen« sie.
Der nächste Abschnitt besteht wieder aus der wörtlichen
Transkription eines Teiles einer Sitzung, die zunächst weitgehend ebenso verlief, wie die oben wiedergegebene. Ich zitiere hier einen Ausschnitt daraus, der in dem Moment einsetzt, als
der Therapeut es für geraten hielt, den Prozeß zu steuern, und
als die flüchtigen und unzusammenhängenden Bilder sich allmählich zu einer kontinuierlichen Sequenz zusammenzuschlie
ßen begannen. Das geschah dreißig Minuten nach Beginn der
Wirkung.
»Patientin: Ich sehe eine weißgekleidete Frau mit einem
Tuch um den Kopf. Sie lehnt sich an eine efeubedeckte
Mauer und blickt zu einer Statue empor, dem Standbild
eines goldenen Löwen. Diese Skulptur steht ganz in ihrer
Nähe oben auf der Spitze eines hohen Obelisken aus
weißem Granit - ebenso phallisch wie das Washington
Monument.
Arzt: Was ist das für ein Standbild?
P.: Was es mir sagt?
A.: Nein. Was stellt es vor?
P.: Das Monument? Nun, ich stehe an seiner Basis und
blicke an ihm empor. Es hat sich in eine Rakete verwandelt.
A.: Eine Rakete? Sprachen Sie nicht von einem goldenen
Löwen?
P.: Ja, ein goldener Löwe. Er könnte von einem der Friese
eines der nahegelegenen öffentlichen Gebäude stammen. Oder von einem europäischen Wappen. Fast könnte es ein orientalischer oder siamesischer Löwe sein.
Die Gesichtszüge sind die eines Löwen, insbesondere das
Maul. Er steht auf den Hinterbeinen, die Vorderpfoten
in der Luft, als ob er angreifen wollte.
A.: Haben Sie ein bestimmtes Gefühl, was seine Farbe betrifft? Diese Goldfarbe?
P.: Es ist ein sehr gelbes Gold.
A.: Finden Sie die Farbe schön?
P.: Ja.
A.: Wie fühlt sich das an? . . . (Rest der Frage unverständlich)
P.: Nun, ich kann fühlen, wie ich den Löwen berühre. Wenn
ich ihn aber anfasse, könnte ein richtiger Löwe daraus
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werden. Seine metallische Oberfläche verschwindet, sie
verwandelt sich in ein warmes Fell.
A.: Können Sie mit dem Löwen sprechen?
P.: Er hat sich jetzt in einen echten Löwen verwandelt, aus
Afrika. Er hat eine gewaltige, sehr steife und stachlige
Mähne. Seine Augen sind gelb.
A.: Was empfinden Sie gegenüber diesem Löwen?
P.: Ich empfinde
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