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Die Reise zum Ich

Die Reise zum Ich

Titel: Die Reise zum Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudio Naranjo
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ist, ehe sie es merken.
    A.: Wechseln Sie nicht in die dritte Person über. › Ich würde
    gern wegschlüpfen . . .‹
    P.: Jetzt sind die Kinder fort.
    A.: Was möchtest du jetzt tun, Löwe?
    P.: Nun, er uriniert. Es wird dunkel. Er geht langsam aber
    sehr behutsam davon. Er geht eine Straße entlang, auf
    der ihm Autos und Lastwagen entgegenkommen; sie
    haben ihre Scheinwerfer an. ( A u f dem Hund Verkehrsgeräusche int Hintergrund) Er weicht zur Seite aus, und so sehen sie ihn nicht. Jetzt ist's eine Löwin. Sic schaut nach
    den Lastwagen, und die Lastwagenfahrer bemerken sie
    nicht, aber sie denkt, wenn sie nicht in den Lastwagen
    säßen, wären sie eine gute Mahlzeit für mich. Und sie
    fragt sich, wenn Löwen wissen, was Lastwagen sind, ob
    ihre Fahrer auch etwas von Löwen wissen. Jetzt will sie
    auf die Jagd gehen. Sie schreitet einen staubigen Pfad
    entlang, und bemüht sich, möglichst wenig Staub aufzuwirbeln. Neben dem Pfad liegt ein Baumstamm. Hinter ihm hinkt ein Bettler in einem zerfetzten Ledermantel
    herum; er legt einem Mann die Hand auf die Schulter,
    der dort schon vorher gesessen hatte und beginnt mit ihm
    zu reden. Der Bettler hat graues Haar und . . .ich weiß
    nicht. Aus dem Baumstamm ist eine Blockhütte geworden. Die Löwin sieht eine kleine Schlange quer über den Weg schlüpfen. Sie hat keine Lust, sie zu fressen. Sie
    würde ihr nicht besonders gut schmecken. Nun geht die
    Löwin einen außerordentlich schön angelegten Gehsteig
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    entlang. Er besteht aus Platten, die ein Bild ergeben. In
    der Mitte sieht man die aufgehende Sonne dargestellt.
    Das Licht tränkt den Himmel mit glitzernden leuchtend
    gelben und orangefarbenen Strahlen. Im Mittelpunkt
    stehen drei Frauen in weißen griechischen Gewändern
    mit Myrten auf dem Kopf, die Arme hoch erhoben, und
    singen. (Langes Schweigen )
    A.: Hören Sie, was sie singen?
    P.: Ob ich was höre?
    A.: Den Gesang der Frauen.
    P.: Es kommt mir vor wie ein einziger Ton, den sie in alle
    Ewigkeit anhalten. Es hört sich mehr an wie ein Chor,
    obwohl sie nur drei sind.
    A.: Können Sie fühlen, was der Gesang für alle Ewigkeit
    mitteilen will?
    P.: Ich lausche. Der Ton kommt mir bekannt vor. Er klingt
    wie eine vibrierende Hochspannungsleitung. Ein hoher,
    summender Ton.
    A.: Ich würde vorschlagen. Sie konzentrieren sich jetzt so
    weit wie möglich auf diesen Klang. Treten Sie in den
    Klang ein. Werden Sie selbst dieser Klang. Er kann eine
    sehr wichtige Botschaft enthalten.
    P.: Ich glaube, seine Aufgabe besteht teils darin, Telefongespräche zu vermitteln. Mir war, als hörte ich Stimmen, beinahe hätte ich sie verstanden.
    A.: Sie hören Stimmen?
    P.: Ich hörte sehr entfernt Stimmen.
    A.: Im gleichen Ton?
    P.: Nein, der Ton klang nebenher weiter. Es ist, als wäre die
    Stromleitung an eine Telefonzentrale geschaltet, so daß
    gelegentlich Verbindungen zustande kommen.
    A.: Das Summen hält an?
    P.: Ein pulsierendes Summen.
    A.: (Bandaufzeichnung nicht zu verstehen)
    P.: Es ist viel zu hoch. (Im Hintergrund Schallplatte mit Choralmusik) (Langes Schweigen) Ich sehe, wie sich die Himmel öffnen. Die Wolken weichen zurück und bilden einen weiten Kreis. Und vom Boden schweben Frauen empor, die eine Hand angehoben, als ob jemand ihre
    Hand ergreift, um ihnen nach oben zu helfen. Langsam
    schweben sie zum Gipfel des Doms empor. Zwei von
    ihnen sind nicht mehr jung, was sie nicht hindert, das
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    Aufwärtsschweben im Raum dermaßen schön zu finden,
    daß sie den Anlaß zu diesem Phänomen vollkommen
    vergessen und anfangen, Saltos zu schlagen, zu lachen
    und zu kichern und zu spielen und sich zu amüsieren,
    anstatt ihre Pose beizubehalten. Andere Menschen winken zum Abschied hinter ihnen drein. Ich habe die Musik noch immer nicht gehört. (Langes Schweigen) Eben
    hörte ich eine der Stimmen, konnte aber nicht den ganzen Satz verstehen. Die Frau am Telefon war eine Farmersfrau mit einem unangenehmen Organ.
    A.: Summt es immer noch? Wie ein Leitungsdraht?
    P.: Oder wie hohe Geschwindigkeit.
    A.: Hohe Geschwindigkeit, wieso?
    P.: Ich glaube, ich assoziiere es jetzt mit Düsenflugzeugen.
    A.: Das läßt auf Energie schließen. Können Sie über die
    Energie etwas sagen? Wie fühlt sie sich an? Haben Sie,
    abgesehen von der Geschwindigkeit, noch andere Assoziationen?
    P.: Kraft.
    A.: Gebändigte Kraft?
    P.: Ja, entschieden gebändigt.
    A.: Im Innern? Wie die Essenz von etwas? Ein essentielles,
    latentes, ungeheures Potential?
    P.: Ich kann nicht

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