Die Reise zum Ich
Algen,
Seeanemonen, Mikroorganismen etc. Es ist ein prähistorischer Teich. Ich sehe ein Ufer, nicht sandig, sondern von Vegetation bedeckt. In der Ferne erkenne ich ein paar Dinosaurier. Ich reite am Ufer auf dem Tiger. Uns folgt die Schlange. Sie holt uns ein. Ich stehe daneben und überlasse es
dem Tiger, mit ihr fertigzuwerden. Doch die Schlange ist
stark, mein Tiger ist in Gefahr. Ich beschließe, mich am
Kampf zu beteiligen. Die Schlange erkennt meine Absicht,
läßt den Tiger los und bereitet sich auf den Angriff vor. Ich
halte ihren Kopf fest und drücke auf dessen Seiten, damit sie
ihr Maul öffnet. Im Maul hat sie ein Eisen, wie die Trense am
Zaum eines Pferdes. Ich drücke damit ihr Gebiß herab, und
die Schlange stirbt oder löst sich auf. Sie zerfällt in Stücke,
wie eine Spielzeugmechanik. Der Tiger und ich gehen weiter.
Ich gehe neben ihm, den Arm um seinen Hals gelegt. Wir
steigen auf den hohen Berg. Ein Zickzack-Pfad führt durch
hohe Büsche. Wir sind angekommen. Da ist ein Krater. Wir
warten eine Weile, und dann setzt eine gewaltige Eruption
ein. Der Tiger sagt, ich solle mich in den Krater stürzen. Ich
bin traurig, weil ich meinen Gefährten verlassen muß. Aber
ich weiß, daß dies die letzte Reise ist und ich sie zurücklegen
muß. Ich werfe mich in das Feuer, das der Krater ausspeit,
und steige mit den Flammen himmelwärts und fliege
davon.«
Wie bereits erwähnt, gab es zuvor in der Sitzung schon mehrfache Anspielungen auf diese »Reise«, doch konnte die Patientin sie nicht vollenden, ehe sie nicht ihrem Vater begegnet war.
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Sobald dies geschah, wußte sie, daß sie bereit war, dem Tiger zu
folgen. Dennoch bedurfte es einiger Beharrlichkeit auf seiten
des Therapeuten, sie zu dem Punkt zu führen, wo sie dann ihren
Vater fand - das erste Bild einer ihr bekannten Person in einer
langen Reihe anonymer Traumwesen.
»Viele Gesichter sah ich, eines nach dem anderen, Gesichter
älterer grauhaariger Herren. Doch keines glich meinem Vater. Schließlich begann ich, das Gesicht meines Vaters Zug um Zug selbst zusammenzubauen. Zuerst konnte ich sein
Haar und seine Stirn sehen, dann seine Nase, den Mund und
schließlich seine Augen und den Umriß seines Gesichts.
Doch fehlten noch die Ohren. Trotz aller Anstrengungen sah
ich mich außerstande, sie anzusetzen. Zu guter Letzt kam ich
zu dem Schluß, daß sie unwichtig seien.«
Dann wurde ihr Vater lebendig und lächelte, und sie konnte ihn
in ganzer Figur sehen. Sic umarmten sich und küßten sich auf
den Mund. Diese Begegnung fand in einem Tunnel statt, einem
Ort der Kommunikation zwischen den Lebenden und den Toten. Sie sagte ihrem Vater, daß sie sich verliebt habe und stellte ihm ihren Verlobten vor, nicht ohne Furcht. Er gab seine Zustimmung, denn er war jetzt weit liebevoller als im wirklichen Leben. Als er sich schließlich in Richtung auf das dunkle Ende
des Tunnels entfernte, weinte sie.
Zweimal im Verlauf dieser Sitzung mit der Patientin schlug ich
vor. ihrer Straßenphobie zu Leibe zu rücken und uns dabei des
Wachtraums zu bedienen. In der folgenden Beschreibung, die
der soeben zitierten voranging, schildert sie ihren Versuch, die
Hauptstraße von Santiago an einer bekannten und gefährlichen
Stelle zu überqueren:
»Ich stehe an der Alameda Ecke Victoria Subercaseux. Alles
ist grau wie an einem nebligen Tag. Ich blicke in Richtung auf
den Berg, er ist von einem unbestimmten Grün, doch kann
ich kaum Farben erkennen. Ich gehe auf einen kleinen Baum
an der Ecke zu. Mir ist, als ob ich seinen Schutz brauche. Ich
überlege, daß ich mich an ihm festhalten könnte, wenn mir
nicht gut ist, so daß ich nicht auf die Fahrbahn falle. Ich
mache mich bereit, die Alameda zu überqueren. Ich achte
auf die Autos. Es ist starker Verkehr, und die Autos fahren
schneller und schneller. Plötzlich wird daraus eine ununterbrochene Reihe von Wagen, es sieht aus wie eine Eisenbahn, die in großer Geschwindigkeit vorübersaust. Hinter allen
Fenstern sind Gesichter zu sehen, von Männern, Frauen und
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Kindern, und alle blicken sie auf mich. Dann verblaßt er, und
der Verkehr wird wieder normal. Ich warte auf Grün, ich
gehe hinüber, ich habe große Angst. Weil ich Angst habe,
kommt es mir vor, als ob ich den Boden nicht ganz berühre,
sondern in der Luft schwebe. Ein Mann kommt gegangen. Er
ist gedrungen und trägt einen braunen Mantel und Hut; seine
Hautfarbe ist dunkel und er hat einen
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