Die Reiter der Sarmaten
seiner Abgaben im Austausch gegen Lateinunterricht für mich und meine Schwestern zu erlassen. Er wollte, daß wir gebildetes Latein sprachen. Die Aristokraten in unserem Volk versuchen, wenigstens etwas Latein zu lernen, vor allem der höhere Adel – aber wir haben wenig Gelegenheit, es praktisch anzuwenden, und benutzen es eigentlich nur bei Handelsgeschäften. Ich hatte einen besseren Lehrer als die meisten.«
Ich sagte ihm nicht, daß mein Latein deshalb so gut war, weil mir der Unterricht viel Freude gemacht hatte, so daß ich auch außerhalb der Stunden den alten Mann öfter besucht hatte, um mit ihm zu reden. Ich hatte das immer vor den anderen geheimgehalten, weil es mir peinlich war. »Er pflegte uns aus Dichtungen vorzulesen«, ergänzte ich.
Comittus lachte. »›Kampf und den Helden besing’ ich, den einst von Trojas Gestaden …‹?«
»Ja, aus der Aeneis auch.«
»Und hat Euch Roms Heldenepos gefallen?« Ich schüttelte den Kopf. »Wir haben unsere eigenen Heldengesänge; sie sind kriegerischer und entsprechen auch unserem Wesen besser. Mir gefielen einige der anderen Dichtungen, die er uns vorgelesen hat. Seid Ihr mit der lateinischen Sprache aufgewachsen?«
Er errötete leicht. »Ja, natürlich! Was Gajus da an dem Abend gesagt hat, diese ›Brittunculus‹-Stichelei – das war bloß ein Scherz. Ich bin ebensosehr Römer wie er. Meine Familie hat das Bürgerrecht seit der Zeit meines Großvaters.«
»Ich hatte nicht die Absicht, Euch zu beleidigen. Ich fragte mich nur, ob ich vielleicht etwas Britisch lernen sollte.«
Er entspannte sich wieder. »Ach so. Tatsächlich ist Britisch meine Muttersprache – obwohl ich Latein gelernt habe, bevor ich lesen konnte.« Offenbar war er nicht sehr stolz auf seine britische Herkunft, wenn er auch seine Verwandtschaft mit der von britischen Königsfamilien abstammenden Bodica gern betonte. »Ist Javolenus ein britischer Name?«
Er sah mich erstaunt an. »Nein, natürlich nicht. Nein, er war Prokurator, als mein Großvater das römische Bürgerrecht erhielt der erste Javonelus, meine ich. Wieso dachtet Ihr, es sei ein britischer Name?«
»Ihr sagtet einmal, Ihr hättet einen britischen Namen, und Comittus hört sich für mich lateinisch an«, antwortete ich. » Comitia, comites, comitatus …«
»Die schreiben sich mit nur einem t.« Er grinste plötzlich. »Zu Hause nennen mich alle Comittus; Lucius bin ich nur in der Armee.
Wenn Ihr wollt, könnt Ihr mich natürlich auch Comittus nennen; Ihr seid ja ebenfalls kein Römer.«
Ich nickte, und ich fragte mich, ob er sich darüber klar war, was er gerade mit dem Wörtchen »ebenfalls« verraten hatte.
Am dritten Tag unseres Marsches kamen wir vor Londinium an. Priscus brauchte einen Tag, um einige dienstliche Angelegenheiten mit dem Statthalter in der britannischen Hauptstadt zu erledigen, aber er wollte nicht, daß wir die Stadt betraten. Er nahm mit seiner Gemahlin Quartier in einem Haus, das ungefähr eine Meile südlich der Stadt auf einem Feld mit einem klaren Bach stand. Wir kampierten auf diesem Feld. Am nächsten Morgen ritt er mit den drei Tribunen und einem Dutzend Reiter in die Stadt; die übrigen Reiter und die Zenturie ließ er unter dem Kommando von Flavius Facilis zurück – mit der Instruktion, ein wachsames Auge auf uns zu haben.
Eukairios bat mich um die Erlaubnis, ebenfalls in die Stadt zu gehen. »Ich könnte ein paar Schreibtäfelchen kaufen und sonstige Schreibmaterialien«, sagte er. »Und ich würde gern Freunde aufsuchen – wenn Ihr mir das gestattet, Herr.«
»Du hast Freunde in Londinium?« fragte ich. »Gibt es da auch Christen?«
Er zuckte heftig zusammen, dann lächelte er entschuldigend. »Ich vergaß, daß Ihr Bescheid wißt. Es wäre besser, Herr, diesen Namen nicht auszusprechen. Jedenfalls nicht so laut. Man hat mir in Bononia ein paar Namen genannt … und ein Kennwort. Ich hoffte …«
»Besuche sie, wenn du es willst. Und kaufe die Sachen. Ich habe etwas Geld; wieviel brauchst du?«
Er nahm einen Silberdenar für die Schreibsachen. »Gibt es noch etwas, was du kaufen möchtest?« fragte ich ihn.
Er sah mich einen Augenblick unentschlossen an, dann gluckste er plötzlich, entschuldigte sich aber gleich verlegen. »Ihr kennt wirklich nichts von Sklaven, Herr«, sagte er. »Ich nahm einen Sesterz mehr, als ich für die Waren brauche – und ich bin ein ehrlicher Mensch.«
Ich gab ihm noch drei Sesterze. »Ehrlichkeit wird belohnt«, sagte ich.
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