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Die Reiter der Sarmaten

Die Reiter der Sarmaten

Titel: Die Reiter der Sarmaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Bradshaw
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klaren, kalten Himmel, so leuchtend hell, daß die Nacht in ein geisterhaftes Licht getaucht war. Die Hügel schimmerten im Mondschein, und alles war still, wie erstarrt in unwirklicher Schönheit. Mein Atem dampfte. Ich trat ins Freie, schloß die Tür hinter mir und humpelte an der Seite des Hauses entlang. Als ich die Ecke erreichte, zitterte ich vor Kälte und Anstrengung. Gleich hinter dem Haus sah ich einen Holzbau, vielleicht war es eine Scheune, in der ich Unterschlupf finden konnte. Ich öffnete die Tür und blieb stehen; die dunstige Wärme eines Stalls schlug mir entgegen, der Geruch von Kühen und der noch vertrautere von Pferden. Ich merkte, wie erschöpft ich war; in einer Ecke fand ich einen Haufen sauberes Stroh, legte mich hinein, wickelte mich in die Decke und schlief sofort ein.
    Das Krähen der Hähne weckte mich; ich fühlte mich hungrig, und mein Kopf schien wieder ganz klar zu sein. Ich streckte mich wohlig und stand auf, schüttelte das Stroh aus der Decke und hängte sie über die Wand einer Box. Dann öffnete ich die Tür und trat hinaus. Der anbrechende Tag legte einen rosigen Schimmer über die schneebedeckte Landschaft. Sechs Kühe beobachteten mich friedlich wiederkäuend vom anderen Ende des Stalls, als ich wieder hineinging. Offenbar warteten sie darauf, daß jemand kam, um sie zu melken. Zwei Pferde standen lose angebunden ihnen gegenüber, und ein drittes Pferd war in der Box, über deren Wand ich die Decke gehängt hatte; es war angebunden und stand mit dem Kopf zum Eingang. Dieses Pferd sah mich mit zurückgelegten Ohren an.
    »Guten Morgen«, sagte ich zu ihm.
    Es rollte die Augen und stampfte nervös. Ich trat an die Box heran und sah mir das Tier genauer an. Es war ein Hengst, braun mit weißen Fesseln und einer Blesse, ein feines Pferd, rundhufig, mit kräftigen Sprunggelenken, groß genug, um als Streitroß geeignet zu sein – allerdings war es, wie die meisten britischen Pferde, etwas leicht in der Vorhand. Aber es hatte auf dem Widerrist Narben von Peitschenhieben, und weitere Narben waren in den Maulwinkeln zu erkennen. Es war nervös, weil es mißhandelt worden war.
    Nicht einen Augenblick dachte ich, daß Pervica dafür verantwortlich sein könnte. Die sanfte Berührung ihrer Hand hatte mich ins Leben zurückgebracht, und ich konnte mit diesem gütigen Gesicht und diesem amüsierten Lächeln keine Grausamkeit in Verbindung bringen. Vielleicht hatte das geschundene Tier ihr Mitleid erregt, auch mich hatte sie ja aus Mitleid in ihr Haus aufgenommen. Ich empfand für diese gequälte Kreatur ein Gefühl der Verbundenheit. Mit sanften, leisen Worten versuchte ich, den Hengst zu beruhigen, aber er rollte die Augen und legte die Ohren zurück, als wollte er sagen: »Komm mir nicht zu nahe. Ich lasse mich nicht von dir schlagen.«
    Ich schaute mich um und fand einen Lappen, der zum Reinigen des Geschirrs benutzt wurde. Ich nahm ihn und ging damit zu den anderen Pferden. Eins von ihnen war eine Stute; ich rieb mit dem Tuch kräftig über ihre Hinterbacken, ging dann zu dem Hengst zurück und hielt es ihm vor die Nüstern. Die Ohren kamen nach vorn, als er an dem Tuch schnupperte – ein alter, aber bewährter Trick. Ich streichelte seinen Hals, sprach ruhig zu ihm, bückte mich unter dem Türbalken hindurch und betrat die Box. Die Ohren schnellten vor und zurück, der Hengst schnaubte, konnte sich aber nicht entschließen, anzugreifen. Ich streichelte ihm weiter den Hals und murmelte zärtliche Worte in sein Ohr, bis er anfing zu glauben, daß es ihm vielleicht doch gefiel. Dann ging ich hinaus, holte eine Handvoll Hafer, ging wieder in die Box und fütterte ihn, wobei ich weiter beruhigend zu ihm sprach.
    In diesem Augenblick öffnete sich die Stalltür, und ein Mann kam herein. Er trug die übliche graubraune Wollkleidung der Briten, Hose und Ärmelkittel, aber statt des karierten Mantels einen Schafpelz. Er starrte mich an und stotterte etwas in der einheimischen Sprache.
    »Schhh«, sagte ich, da der Hengst wieder die Ohren zurücklegte.
    Der Mann lief hinaus. Ein paar Minuten später kam er in Begleitung von Pervica zurück. Sie blieb auf der Türschwelle stehen und sah überrascht zu uns hin. Die Strahlen der aufgehenden Sonne spielten um ihre Gestalt, die sich wie in einem Rahmen schwarz gegen das weiße Winterlicht abhob – eine hochgewachsene Frau mit breiten Hüften und vollen Brüsten, ungemein anmutig. Begehren ist, so glauben manche Menschen, etwas so Elementares

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