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Die Reiter der Sarmaten

Die Reiter der Sarmaten

Titel: Die Reiter der Sarmaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Bradshaw
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Pervica, Witwe des Saenus, und das Haus und die Farm gehören mir.«
    Ich runzelte die Stirn und berührte die Wand noch einmal mit der Hand. Mein Verstand war noch immer nicht klar. Ich hatte das Gefühl, von Corstopitum schon gehört zu haben, aber ich konnte keine Vorstellung damit verbinden und gab den Versuch auf, mich zu erinnern.
    Pervica kniete sich neben mich auf den Boden und legte meinen Arm über ihre Schultern. »Ihr gehört ins Bett«, sagte sie und half mir hinein. »Wie sieht es aus, ist Euch noch übel, oder meint Ihr, Ihr könntet etwas Gerstensuppe essen?«
    Ich nickte, und als sie die Suppe brachte, trank ich sie. Ich gab ihr den leeren Napf zurück und bemerkte plötzlich, daß ich nichts anhatte als die Decke, die ich über die Schultern gehängt hatte. Ich deckte mich rasch zu. »Wie bin ich hierhergekommen?« fragte ich.
    »Wir haben Euch gestern nachmittag aus dem Fluß gezogen«, antwortete sie. »Wie Ihr dahin gekommen seid, weiß ich nicht.«
    »Ich kann mich nicht daran erinnern«, sagte ich.
    »Ihr wart fast tot. Ich denke, wenn es Euch etwas bessergeht, wird die Erinnerung zurückkommen. Wo lebt Eure Familie, oder wo wohnen Eure Freunde? In Corstopitum?«
    »Ich kann mich nicht erinnern«, wiederholte ich. »Irgendwann … bin ich dort gewesen, denke ich.«
    »Wie heißt Ihr?«
    »Ariantes.«
    »An die wichtigsten Dinge könnt Ihr Euch also doch erinnern. Macht Euch keine Sorgen, der Rest wird auch wiederkommen. Ich schicke Cluim heute nachmittag nach Corstopitum, um zu fragen, ob jemand Euch dort vermißt. Cluim ist der Mann, der Euch gefunden hat. Er sah einen roten Mantel gegen das Grün des Flußufers, als er gestern hinausging, um die Schafe zurückzuholen, und er zog Euch aus dem Wasser – zuerst hielt er Euch für tot, aber Eure Augen bewegten sich ein wenig; daher machte er rasch ein Feuer, deckte Euch mit seinem Mantel zu und lief frierend zurück, um Hilfe zu holen. Ihr verdankt ihm das Leben.«
    Ich nickte hilflos, ohne etwas zu begreifen, und versuchte, mich wieder aufzusetzen. »Wo sind meine Kleider?« fragte ich.
    »Dort.« Sie zeigte auf einen Ständer am Fuß des Bettes, wo sie ordentlich aufgereiht hingen; der Griff des Dolches schimmerte in dem dämmrigen Licht. »Sie sind noch ein bißchen klamm, ich würde empfehlen, sie noch nicht anzuziehen. Versucht, etwas zu schlafen.«
    »Habt Ihr sie mir ausgezogen?«
    »Wie hätten wir Euch sonst warm kriegen sollen?« fragte sie.
    Es war warm in dem Bett beim Feuer.
    »Ja«, sagte ich schläfrig. »Danke.«
    Als ich das nächste Mal aufwachte, war es wieder dunkel, und ich fühlte mich etwas kräftiger. Ich setzte mich auf und sah in die verlöschende Glut des Herdes. Nach einiger Zeit stand ich auf und legte etwas Holz nach. Ich beobachtete, wie aus der Glut leuchtend gelbe Flammen schlugen: Sinnbild Marhas, des heiligen, des reinen Gottes. Ich streckte meine Hand zu ihm aus, und plötzlich lief mir ein Schauer über den Rücken. Ich betrachtete meine Finger, die Gelenke, die sich nach meinem Willen bewegten, die Hand, die sich ausstreckte, um den Gott zu verehren: Ich lebte. Seit langer Zeit war mein Leben nur bitterer Kummer und Trauer gewesen. In meinem Herzen brannte der Schmerz, daß ich nicht am Tage des Donners den Tod gefunden hatte, daß es mir nicht erspart geblieben war, die Niederlage zu erleben und vom grausamen Tod derer zu hören, die ich am meisten liebte. Und jetzt, ganz plötzlich und spontan, erwachte in mir die Freude, am Leben zu sein, das Feuer brennen zu sehen und den schweren, süßlichen Rauch zu riechen, zu spüren, wie die Kraft in meinen Körper zurückkehrte. Die Welt der Toten ist eine Welt, an der wir nicht teilhaben können. Wie lange wir auch sehnsüchtig am Grab stehen mögen, am Ende müssen wir uns abwenden und fortgehen. Unser Geist ist auf wunderbare und geheimnisvolle Weise in ein Gewebe aus Knochen, Fleisch und Blut eingebunden, wir sind fähig, zu denken und uns zu bewegen, zu lieben und zu glauben. Lebendig! Den Göttern sei Dank!
    Ich konnte nicht wieder ins Bett gehen. Wenn ich jetzt auch wußte, daß ich in einem Haus war und nicht in einem Grab, empfand ich es doch als tödliche Bedrohung, zwischen hohen Steinmauern eingeschlossen zu sein. Ich zog beim Licht des Feuers mühsam und umständlich meine Kleider an, darüber den Mantel, schlang die Decke um die Schultern und ging zur Tür.
    Der Vollmond schien auf den Schnee im Hof, und die Sterne standen weiß und hoch an einem

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