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Die Rekonstruktion des Menschen

Die Rekonstruktion des Menschen

Titel: Die Rekonstruktion des Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Simon (Hrsg)
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übernachten besser im Schuppen.«
Wortlos richtete sich die Frau auf. Ihr Mann erhob sich hastig.
»Warum? Schlafen Sie hier im Haus.«
Aber der Förster hatte die Matratzen schon genommen und brachte sie hinaus.
Der Farmer begleitete sie mit einer Laterne in den Schuppen. Ein Weilchen sah er noch zu, wie sie sich einrichteten. Er machte ein Gesicht, als wolle er etwas sagen, hob dann aber nur die Hand, kratzte sich den Kopf und ging.
»Wozu das alles?« fragte Betley. »Dringen denn die Otarks auch in Häuser ein?«
Miller hob ein dickes Brett vom Boden auf und stemmte es gegen die schwere Tür, er prüfte sogar nach, ob das Brett auch nicht wegrutschen konnte.
»Hauen wir uns aufs Ohr«, sagte er. »Man muß mit allem rechnen. Manchmal dringen sie auch in die Häuser ein.«
Der Journalist setzte sich auf seine Matratze und schnürte sich die Schuhe auf.
»Sagen Sie, es gibt hier noch richtige Bären? Keine Otarks, sondern richtige wilde Bären? In diesen Wäldern hier muß es doch noch viele geben?«
»Keinen einzigen gibt es mehr«, antwortete. Miller. »Als die Otarks aus dem Versuchszentrum ausbrachen und die Insel verließen, vernichteten sie zuallererst die Bären. Auch den Wölfen haben sie den Garaus gemacht. Es hat hier Waschbären gegeben, Füchse – alles ausgerottet. Sie haben sich aus dem zerstörten Zentrum Gift beschafft und damit auch Kleintiere vergiftet. Überall hier wimmelte es von den verendeten Wölfen. Die Wölfe haben sie aus irgendeinem Grunde nicht gefressen. Dafür die Bären, restlos. Manchmal fressen sie ja sogar ihre eigenen Artgenossen.«
»Ihre eigenen Artgenossen?«
»Natürlich, schließlich sind sie keine Menschen. Bei ihnen muß man auf alles gefaßt sein!«
»Sie halten demnach die Otarks für Tiere?«
»Nein.« Der Förster schüttelte den Kopf. »Für Tiere halten wir sie nicht. Nur in den Städten streiten sie, ob es Menschen oder Tiere sind. Wir hier wissen: Sie sind weder das eine noch das andere. Früher war das so: Es gab Menschen, und es gab Tiere. Das war alles. Jetzt gibt es noch etwas Drittes – die Otarks. Das ist einmalig, solange die Menschheit besteht. Die Otarks sind keine Tiere – das wäre noch gut –, aber Menschen sind sie natürlich auch nicht.«
»Sagen Sie« – Betley spürte das Banale seiner Frage, stellte sie aber trotzdem –, »ist es wahr, daß sie anstandslos die höhere Mathematik beherrschen?«
Der Förster drehte sich jäh zu ihm um.
»Hören Sie, lassen Sie endlich die Mathematik aus dem Spiel. Hören Sie auf damit! Ich persönlich gebe keinen Pfifferling für jemanden, der sich in der Mathematik auskennt. Jawohl, das stimmt, die höhere Mathematik ist für die Otarks ein Kinderspiel! Aber was bedeutet das schon? Ein Mensch muß man sein, das ist es.«
Er wandte sich wieder ab und biß sich auf die Lippen.
Er ist mit den Nerven fertig, dachte Betley. Und nicht zu knapp. Ein kranker Mann.
Aber der Förster hatte sich schon beruhigt, er schämte sich für sein Aufbrausen. Nach kurzem Schweigen fragte er: »Entschuldigen Sie, haben Sie ihn gesehen?«
»Wen?«
»Nun, das Genie: Fiedler.«
»Fiedler? Ja, ich hab’ ihn gesehen. Mich sogar mit ihm unterhalten vor meiner Abreise hierher. Im Auftrag der Zeitung.«
»Sie wickeln ihn dort sicher in Zellophanpapier, nicht wahr? Damit er nur ja keinen Tropfen Regen abbekommt.«
»Ja, Sie schirmen ihn ab.« Betley erinnerte sich daran, wie sie seinen Ausweis kontrolliert und ihn an der Mauer, die das Wissenschaftliche Zentrum umgibt, durchsucht hatten. Dann noch eine Paßkontrolle und noch eine Durchsuchung vor dem Eingang zum Institut. Zum drittenmal hatten sie ihn gefilzt, bevor er den Garten betreten durfte, wo er mit Fiedler zusammentraf. »Sie bewachen ihn. Aber er ist ja auch wirklich ein

genialer Mathematiker. Dreißig Jahre war er, als er seine ›Kor
    rekturen zur allgemeinen Relativitätstheorie‹ machte. Ein außergewöhnlicher Mensch, oder etwa nicht?«
»Und wie sieht er aus?«
»Wie er aussieht?«
Der Journalist war verwirrt. Er stellte sich Fiedler vor, wie dieser in seinem weitgeschnittenen weißen Anzug in den Garten trat. Seine Figur hatte etwas Plumpes. Breites Becken, schmale Schultern, kurzer Hals… Es war ein merkwürdiges Interview, Betley hatte das Gefühl, selbst interviewt zu werden. Fiedler antwortete zwar auf seine Fragen, doch irgendwie unernst. Als mache er sich über den Journalisten lustig und überhaupt über die ganze Welt der gewöhnlichen Menschen dort hinter den

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