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Die Rekonstruktion des Menschen

Die Rekonstruktion des Menschen

Titel: Die Rekonstruktion des Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Simon (Hrsg)
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Bauch vor Lachen. Allein das Gesicht des Gorillas zeigt keine Bewegung.
Die Reporterin ist rot bis an die Haarwurzeln geworden.
Eine feine Sache so ein Farbfernseher. Ich weide mich geradezu an den Nuancen der Röte auf dem Gesicht dieser dummen Pute.
»Ich bin noch… Jungfrau«, stößt sie mühsam hervor.
Jetzt bricht auch Max in lautes Lachen aus. »Um so mehr.« Er holt aus seiner Kitteltasche ein Tuch hervor und wischt sich die Augen. »Um so mehr, die unbefriedigten Instinkte machen einem am meisten zu schaffen.«
Der Kommentator versucht zu retten, was zu retten ist.
»Vielen Dank, Max. Ich möchte mich bei Ihnen im Namen der Fernsehzuschauer bedanken, die dieses Interview, so hoffe ich, mit großem Interesse verfolgt haben.«
Ich schalte ab. Zeit zu frühstücken.
Nummero zwölf: Diätfrühstück für Fettleibige. Aus unerfindlichen Gründen reicht mir die eiserne Hand anstelle der üblichen zwei Gerichte und einem Glas Tee immer neue Teller. Ich versuche, die Tür des Automaten zuzuschlagen. Vergebens. Also wieder ein neuer Trick. Ob du willst oder nicht, du steigerst den Verbrauch.
Ich kann nicht behaupten, die Sachen schmeckten nicht. Die Speisen sind nach Rezepten erfahrener Feinschmecker zubereitet, dennoch vergeht mir nach dem zweiten Bissen der Appetit. Mich macht die Riesenmenge einfach rasend. Ich schiebe alles von Tellern ‘runter aufs Tablett, verrühre den Matsch und schütte ihn in den Utilisator. Ich gebe mir Mühe, nicht an die Rechnungen zu denken, die mir am Monatsende ins Haus flattern. Patriot sein ist alles. Die automatischen Fließstraßen müssen ausgelastet werden. Ein Fließband, im geschlossenen Zyklus ist tatsächlich etwas Ungeheuerliches. So etwas wie ein Schriftsteller, der nicht weiß, worüber er schreiben soll.
Da wir gerade beim Schriftsteller sind, mein Teurer, mach dich an deine obligatorischen zwei Seiten Tagespensum. Wo waren wir stehengeblieben?
Zehn Minuten starre ich blicklos auf das Blatt Papier vor mir und überlege. Vielleicht tue ich auch nur so, als überlege ich.
Nein, zuerst das Wichtigste. Ich gehe zum Informator und rufe den Hauptposten.
»Ja, bitte?«
»Ich brauche eine Auskunft. Wievielmal wurde in der Literatur beschrieben, daß der Held die Heldin liebt, sie seine Gefühle aber nicht erwidert und zu einem anderen geht?«
»Innerhalb welcher Periode?«
»Von Aischylos bis heute.«
Offensichtliche Verwirrung auf der anderen Seite. Ich höre, wie der Diensthabende den Auftrag weitergibt.
»Hallo, Teilnehmer.«
»Ja.«
»Wir sind nicht in der Lage, eine solche Auskunft zu geben. Die Informationsmenge überschreitet das Speicherungsvermögen der Maschinen.«
»Nun, dann also für das letzte Jahrhundert.«
»Warten Sie bitte.«
Ich warte geduldig.
»Die Auskunft liegt morgen, dreiundzwanzig Uhr, vor. Paßt Ihnen dieser Termin?«
»Na gut. Eigentlich unwichtig zu wissen, der wievielte Epigone man ist.«
»Wie bitte?«
»Nichts. Ich habe nur laut gelacht. Sie können den Auftrag als annulliert betrachten!«
»Gut.«
Die beiden Seiten werden weder heute geschrieben noch morgen, noch in Ewigkeit. Amen.
Ehrlich, ich fühle mich erleichtert. Jetzt fehlt nur noch die Entscheidung, wie der Tag verbracht werden soll.
Ich gehe zum Spiegel und beäuge mich vom Scheitel bis zur Sohle. Flott sehe ich aus. In einer Welt des vor Langeweile strotzenden Überflusses sind geflickte Latschen, an den Knien ausgebeulte Hosen und durchgescheuerte Jackettärmel das Zeichen eines erlesenen Snobismus. Ich verneige mich vor meinem Spiegelbild und gehe hinaus auf die Straße.
Die obere Ebene gehört den Fußgängern. Dort befinden sich die Geschäfte, deshalb liegt ein derartiges Getöse in der Luft. Hunderte Lautsprecher überreden zum Kauf irgendwelcher Waren. An der Kreuzung stehen ein paar junge Mädchen.
Wenn die Bestrebungen anhalten, den Körper möglichst unbedeckt spazierenzuführen, hat das große Fließband bald gar nichts mehr zu tun.
Die Mädchen versuchen mit allen Mitteln, die Aufmerksamkeit der ziellos flanierenden Burschen auf sich zu lenken. Die gehen jedoch mit versteinerten Gesichtern vorüber. Fast alle kauen auf einer widerwärtig klebrigen Masse herum. Wie es heißt, ein wirkungsvolles Schlankheitsmittel.
Ich mustere die Gesichter der Vorübergehenden und versuche herauszukriegen, was eigentlich geschehen ist. Ich kann über die Welt, in der ich lebe, nicht schreiben, weil ich sie einfach nicht kenne.
Leere, satte Visagen, erloschene Blicke, Apathie auf der ganzen

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