Die Reliquie von Buchhorn
veränderten sich nicht. »Eckhard? Eckhard?«
Der Mönch stand wie versteinert. Erst als Rodericus ihm das Dokument aus den zitternden Fingern nehmen wollte, kam Leben in ihn. Er barg das Schriftstück blitzschnell in seiner Kutte. »Rodericus! Wir reiten sofort nach Sankt Gallen!«
»Sofort?«
»Ja! Und keine Fragen.«
»Ja, Bruder, aber …« Er verstummte und beeilte sich, die Pferde zu holen, da Wulfhard keine Anstalten machte, sich von der Stelle zu bewegen. Mit verschränkten Armen versperrte er Eckhard den Weg zu den Tieren.
Der blickte zum Himmel. »Kennst du mich wirklich so schlecht, Wulfhard?«, fragte er und gab dem Stallmeister im Vorbeigehen einen Klaps auf den Oberarm. »Und jetzt komm. Ich brauche dich und Hunfried als Zeugen beim Abt von St. Gallen und beim Grafen.«
»Und ich?«, fragte Gerald, ohne Fridrun loszulassen.
»Du?« Eckhard lächelte. »Du gehst heim, mein Freund. Deine Frau braucht dich jetzt. Und sorg dafür, dass der Leichnam hier weggeschafft wird. Er war trotz allem ein Mönch.«
»Aber ich würde dich gern begleiten.«
Eckhards Lächeln vertiefte sich, bis es endlich auch seine Augen erreichte. »Schau in das Gesicht deiner Frau, und du weißt, was du gern würdest, mein Freund. Reite zu Eberhard und sag ihm, dass er Isentrud mit Respekt behandeln soll. Der Graf wird sie wohl bald freilassen.«
Wulfhard rieb sich den Nacken, dann straffte er sich. »Rodericus«, rief er. »Lass die Finger von den Pferden. Das kann man ja nicht mit ansehen!«
XII
Die vier Männer trieben die Pferde unbarmherzig voran, nicht einmal Rodericus bestand darauf, zur gegebenen Stunde die Gebete zu verrichten, die er seinem Gott und dem Abt von St. Gallen gelobt hatte. Eckhard hatte sich geweigert, eine der vielen Fragen seiner Gefährten zu beantworten, bis sie es schließlich aufgaben. Doch die Sorge, was den Benediktiner so tief erschüttert hatte, blieb. In Rorscahun sprach Wulfhard endlich ein Machtwort angesichts der keuchenden Tiere, die den Aufstieg nach St. Gallen unmöglich bewältigen konnten, zumal der Frühling, der am Ufer des Sees immer mächtiger seinen Einzug hielt, den Weg zum Benediktinerkloster noch nicht gefunden hatte. Deutlich zeichnete sich die Schneegrenze auf den Hügeln ab. Das beginnende Abendlicht tauchte den weißen Streifen in ein melancholisches Dämmerlicht. Die Wolken hingen tief und drohten mit neuem Schneefall. In stummer Übereinkunft suchten Hunfried und Wulfhard das nächste Wirtshaus, während Eckhard und Rodericus sich zur Kirche des heiligen Columban begaben, um in aller Stille zu beten. Auch hier hatte die deutlich schneidendere Kälte die Menschen bereits am frühen Abend in ihre Häuser getrieben. Am Eingang der Kirche wies eine einzelne Fackel den Gläubigen den Weg. Fröstelnd zogen die beiden Benediktiner die Mäntel um die Schultern, als sie den stillen dunklen Raum der kleinen Kirche durchquerten.
Rodericus sank neben Eckhard vor dem Altar auf die Knie und senkte den Kopf, aber die Andacht wollte sich nicht einstellen. Er betrachtete die Maserung der Holzdielen, die im Kerzenlicht warm schimmerten, während ihm die Kälte durch den Stoff der Kutte drang. Neben sich sah er Eckhard, der die Stirn auf die zusammengepressten Hände gelegt hatte. Seine Haltung drückte tiefste Demut aus, doch die schweren Atemzüge ließen Rodericus zweifeln, ob es wirklich Andacht oder nicht eher Verzweiflung war, die seinen Ordensbruder bewegte. Rodericus fiel auf, dass Eckhards Tonsur dringend nachgeschoren werden musste. Unwillkürlich glitt seine Hand an den eigenen Hinterkopf und strich über weichen Flaum. Er seufzte und rutschte auf den Knien hin und her.
Eckhard ließ die Hände sinken und betrachtete Rodericus mit hochgezogenen Brauen.
»Du weißt jetzt, worum es geht?«, flüsterte der jüngere Mönch. Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.
Eckhard nickte. Das Schweigen ließ sich beinahe mit Händen greifen.
»Was wirfst du mir vor?«, flüsterte Rodericus. »Ich habe nur dem Befehl meines Abtes Folge geleistet.«
»Ich werfe dir nichts vor.«
»Was ist es dann?«
»Wahrscheinlich hat es gar nichts mit dir zu tun.« Eckhard erhob sich erst auf ein Knie, dann stand er langsam auf und streckte die steif gewordenen Glieder. »Ich nehme an, dass nichts, was du hättest sagen können, die Verbrechen von Bruder Silvanus verhindert hätte.«
»Was ist es dann?«
Eckhard begann, vor dem Altar auf und ab zu gehen, doch er bremste sich, als ihm
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