Die Reliquie von Buchhorn
Wein hinterließ einen herben Nachgeschmack auf seinem Gaumen. »Was ist wichtiger als ein verschollener Ordensbruder?«
»Das Wohl der Abtei«, antwortete der Abt brüsk. »Ich will offen zu Euch sein, Graf, die Abtei kann sich keine Unannehmlichkeiten leisten wegen eines verschwundenen Mitbruders, der einen Sündenpfuhl wie Bregenz hätte meiden müssen. Nichts für ungut.«
Udalrich runzelte die Stirn und beugte sich vor. »Welche Art Unannehmlichkeiten sollte ein Kloster wie St. Gallen haben?«
»Nichts von Bedeutung. Sankt Gallen hat Besitzungen fern von hier, wie den Wald, den Euer Vater vor vielen Jahren beansprucht hat. Deren Verwaltung, Kosten und Einkünfte obliegen der Sorgfalt des Abtes, und da gibt es einiges aufzuarbeiten.«
»Und das hindert Euch, die Spur eines verschwundenen Mitbruders zu verfolgen?«
Der Abt schwieg.
Das Klopfen an der Tür erlöste beide aus der unbehaglichen Stille. Udalrich drehte sich um. Es war mehrere Monate her, dass er Eckhard gesehen hatte. Ein Schatten fiel über sein Gesicht, als er sich an die Umstände erinnerte. Salomo war noch am Leben gewesen. Und eine Wahnsinnige hätte beinahe seine Frau getötet. Eckhard war maßgeblich daran beteiligt gewesen, die Umstände der Verschwörung aufzudecken. Plötzlich stellte Udalrich fest, dass er sich freute, den klugen Benediktiner wiederzusehen. Er öffnete den Mund zu einem Gruß und schloss ihn wieder, als Eckhard eintrat.
Das Gesicht des Mönches war noch blasser und schmaler, als er es in Erinnerung hatte, und der lebhafte Glanz seiner dunklen Augen schien erloschen. Ohne den Grafen auch nur zur Kenntnis zu nehmen, verneigte Eckhard sich vor dem Abt. Irritiert sah Udalrich von ihm zu dem zweiten Mönch, dessen Haltung fast wie eine Kopie seines älteren Ordensbruders wirkte. Auch er war schmal und dunkel, aber seine Augen leuchteten in einem hellen, klaren Grün.
Endlich brach Hartmann die Stille. »Bruder Eckhard, du kennst den Grafen von Buchhorn?«
Eckhard neigte den Kopf, aber immer noch weigerte er sich, Udalrich anzusehen.
»Du weißt, dass ich vor ein paar Tagen das Ansinnen abgelehnt habe, dass du die Klostermauern verlässt. Du hast ein Gelübde abgelegt.«
»Und das werde ich halten. Ich unterwerfe mich ganz Eurem Willen.«
Der Abt gab sich keine Mühe, seine Genugtuung zu verbergen. »So hast du endlich Gehorsam gelernt. Allerdings hat sich etwas ergeben, das mich bewogen hat, meine Entscheidung zu überdenken.«
Eckhard hielt den Atem an, aber er bewegte sich nicht. »Wie darf ich das verstehen?«
»Du wirst den Grafen von Buchhorn begleiten und ihm auf jede Weise helfen, die ihm dienlich sein kann. Und auch du«, der Abt wandte sich an den jungen Mönch, der sich in Eckhards Schatten hielt, »wirst das Kloster verlassen.«
»Aber …«
Hartmanns erhobener Zeigefinger erstickte den Protest. »Der Graf wird sich deiner Sache persönlich annehmen, und ich wage zu hoffen, dass Bruder Warmund schon bald in den Schoß des Ordens zurückkehrt. Das ist alles. Aber vergesst nicht, dass ihr bis zur Prim den Regeln des Klosters unterworfen seid. Und ich erwarte, dass ihr sie auch nach eurer Abreise einhaltet!«
Beide Mönche verneigten sich stumm.
»Einen Moment«, warf Udalrich ein.
Der Abt zog die buschigen Brauen hoch. »Was denn noch?«, fragte er kühl.
»Nun, wo wir hier so traulich beisammensitzen«, Udalrich lächelte spöttisch, »würde ich gern noch die Einzelheiten zum Verschwinden dieses Warmund erfahren. Wenn Ihr so freundlich wärt.« Er nickte dem jungen Mönch zu, der dem Abt einen hilflosen Blick zuwarf. Auf seinen Wangen entstanden rote Flecken. Er begann zu stottern.
»Beruhige dich und sag uns, was du weißt«, befahl der Abt mit schmalen Lippen.
»Ja, also … Bruder Warmund und ich … Bruder Warmund ist so etwas wie mein Lehrer geworden, als ich nach St. Michael kam. Ich bin dort noch nicht lange, ich war vorher in Lorsch. Als wir aufgebrochen sind …«
»Bruder Rodericus!«, unterbrach der Abt so scharf, dass der junge Mann den Kopf einzog. »Beschränke dich auf das Wesentliche!«
»Verzeiht!« Rodericus fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn und versuchte, sich zu sammeln. Aber erst als Eckhard ihn sacht an der Schulter berührte, beruhigte er sich so weit, dass er zusammenhängend berichten konnte. »Bruder Warmund und ich waren mit der Beschaffung einer Reliquie für das junge Kloster betraut.«
Udalrich beugte sich vor. »In Bregenz?«
»Rom«,
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