Die Reliquie von Buchhorn
stumme Andacht beendet und gesellte sich zu ihnen. Sein Gesicht war blass, aber gefasst, und seine Augen wirkten nicht gerötet. »Ich hoffe, Bruder Warmund hat seinen Frieden«, sagte er traurig.
Eckhard hob die Hand und schlug das Zeichen des Kreuzes. »Gott wird ihm vergeben haben.«
»Ob der Abt mir vergibt, ist eine andere Frage. Ich habe versagt.« Plötzlich bekam die Maske der Ruhe Risse, Rodericus’ Hände begannen zu zittern. »Der Vater Abt hat mir gesagt, dass er mir vertraut, als ich Lorsch verlassen habe. Und ich habe sein Vertrauen missbraucht.« Er wich aus, als Eckhard ihm tröstend die Hand auf die Schulter legen wollte. »Ich bin kein Stück besser als Bruder Warmund«, stieß er bitter hervor.
»Du fühlst dich Lorsch immer noch sehr verbunden, nicht wahr?«
Rodericus hob rasch den Kopf. »Warum nicht? Der Vater Abt war immer mehr Vater für mich als der Mann, dessen Fleisch und Blut ich bin. Es war ein Vertrauensbeweis, als er mich an den Neckar geschickt hat.«
»Aber lieber wärst du in Lorsch geblieben?«
Rodericus presste die Lippen aufeinander. »Es war ein Befehl, und ich habe gehorcht. Mehr ist dazu nicht zu sagen.« Ein heftiges Frösteln schüttelte seine schmalen Schultern.
»Wir sollten aus dem Regen kommen«, bemerkte Gerald. »Dann haben wir wenigstens eine Chance, Wulfhard noch nüchtern anzutreffen.« Sein freudloses Lächeln fand kein Echo im Gesicht der beiden Mönche. Schweigend kehrten sie in die Weinrebe zurück.
Wulfhard war der einzige Gast in der Schenke. Er saß mit gesenktem Kopf über einem Becher Bier, und seine Hände spielten unablässig mit dem Ungarndolch, den er aus seinem Gürtel gezogen hatte.
Eckhard trat lautlos näher und zog ihm sanft die Waffe aus den Fingern. »Ich habe dir gesagt, dass Gott dich nicht verlassen wird. Vertrau auf ihn und bete.«
Wulfhard stieß ein Schnauben aus. »Gebt mir die Waffe, Mönch«, forderte er. Er schob sie zurück in den Gürtel und zog sein Wams darüber. »Wirt, bring mir noch ein Bier!«
Der Wirt kam aus der angrenzenden Küche. Als er die neuen Gäste sah, verlangsamte er den Schritt. »Ehrwürdige Brüder«, setzte er an und schien plötzlich nicht mehr zu wissen, was er mit seinen Händen tun sollte. »Ehrwürdige Brüder, ich habe von Eurem Verlust gehört. Es tut mir sehr leid.«
Eckhard verzog die Lippen zu einem kurzen Lächeln.
Der Wirt fuhr fort: »Ihr Herren, während Ihr auf der Beerdigung wart, war ein großer Mann hier, ein Krieger von furchterregendem Äußeren. Er sagte, er will Euch sprechen. Sagte, Ihr wüsstet schon, wer er sei.«
»Hunfried!«, stieß Eckhard hervor und packte Wulfhards Schulter. »Was habe ich gesagt, das ist der Fingerzeig Gottes. Wo will er mich treffen, Wirt?«
»Bei der großen Weide am Ufer der Schussen erwartet er Euch. Der Baum ist nicht zu verfehlen, er steht allein und hat einen dicken Stamm.«
»Und mehr hat er nicht gesagt?«
Der Wirt schüttelte den Kopf. »Und ich war heilfroh, als er draußen war«, setzte er mit einem Anflug von Trotz hinzu. »Der Aufruhr gestern hat mir gereicht. Wir haben die ganze Nacht gebraucht, damit es wieder wie bei anständigen Christenmenschen aussieht.«
»Und das werden wir auf der Rechnung wiederfinden«, murmelte Gerald vor sich hin, aber niemand achtete auf ihn.
Eckhards Augen leuchteten in altem Glanz. »Die Spur ist doch nicht kalt«, rief er, als der Wirt sich wieder in die Küche verzogen hatte. »Gerald, du wirst mich zur Schussen begleiten. Wulfhard, du passt auf Rodericus auf. Hunfried hat uns zwar gestern geholfen, aber bevor ich nicht weiß, was er im Schilde führt, lasse ich Rodericus nicht in seine Nähe.«
»Aber …«
Eckhard drückte Wulfhard mit sanfter Gewalt auf den Platz zurück. »Kein Aber, du passt auf Rodericus auf. Und wenn Ottmar kommt, dann wirst du ihm den Respekt entgegenbringen, der einem Edelmann zusteht.«
Wulfhard schob wütend die Unterlippe vor.
»Ich meine das ernst, Wulfhard. Wir sind auf Ottmars Geleitschutz angewiesen, ebenso wie auf Heinrichs Wohlwollen. Wir befinden uns auf seinem Land.«
Wulfhard versetzte einem der Hocker einen Tritt, der ihn quer durch die Schankstube beförderte, aber er schwieg.
Gerald ergriff das Wort: »Wir sollten gehen, wenn wir Hunfried antreffen wollen, Eckhard.«
»Recht hast du«, erwiderte der Mönch. Im Gehen klopfte er Wulfhard leicht auf die Schulter. »Ich verlasse mich auf dich. Keine Frechheiten. Und kein Bier mehr.« Er wandte sich ab.
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