Die Reliquie von Buchhorn
der Wolkendecke, sodass die Nacht ein unheimliches Wechselspiel aus bläulichem Licht und tiefster Finsternis wurde. Um ihn herum knackte und raschelte es in den Büschen. Gerald schloss die Faust um den Griff seines Messers und versuchte, die leise schnaubenden Pferde zu beruhigen. Ganz in seiner Nähe brach ein Ast, und er glaubte, ein Knurren zu hören.
Ein Luchs!, schoss es ihm durch den Kopf, aber kein verräterischer Schatten, keine glühenden Augen bestätigten seine Furcht. Er drängte sich dichter an die warmen Pferdeleiber, während er Wulfhard verfluchte, der jetzt im Warmen saß und sie vielleicht schon an Hunfried verkaufte. Gerald verscheuchte energisch die düsteren Gedanken, ehe das flüchtige Vertrauen, das in jener Nacht im Kerker zwischen ihm und seinem alten Feind entstanden war, wieder zerbrach.
Mit einem Mal durchdrang ein anderes Geräusch die Stille, und diesmal war Gerald ganz sicher, Hufschlag auf dem weichen Waldboden zu hören. Er hielt den Atem an und horchte.
»… nicht länger warten können.«
Erleichtert ließ er sich gegen einen Stamm sinken, als er die vertraute Stimme hörte. »Eckhard, hier drüben!«
Der Hufschlag setzte kurz aus. Gleichzeitig streifte Mondlicht das erschöpfte Gesicht des Mönches.
»Gerald? Wo bist du?«
»Hier, unter den Bäumen.«
Kurz darauf führten Eckhard und Ottmar ihre Pferde zu der Baumgruppe und schlangen die Zügel um einen dicken Stamm.
»Wo sind die Mönche?«, fragte Gerald, während er über die Schultern der beiden Männer spähte.
»Zurück nach Altdorf gegangen.« Eckhard rieb sich müde die Augen. »Es war völlig unmöglich, die Toten zu bestatten. Wir haben sie nur mit Steinen und Zweigen bedecken können.« Sein Blick streifte die Pferde. »Wulfhard?«
Gerald zeigte zum Gehöft. »Da drin. Mit Hunfried.«
»Was?«
Gerald musste beinahe grinsen, als der Mönch in die Höhe fuhr, aber zu seiner Überraschung blieb Ottmar gelassen. »Das ist doch gut, Bruder Eckhard. Es gibt Gernot Zeit, wieder zu uns zu stoßen. Und wenn Hunfried den roten Hund totschlägt, auch gut.«
Eckhard seufzte. »Es war überflüssig, ihn den Räubern hinterherzuschicken. Wir brauchen ihn und seine Leute hier! Wie lange reden die beiden schon?« Er nickte besorgt zu dem Langhaus hinüber.
Gerald schlang die Arme um sich und rieb seine Oberarme gegen die Kälte. »Keine Ahnung. Lang genug.«
Eckhard beugte sich näher und musterte Gerald. »Mein Gott, du bist ja vollkommen durchgefroren! Warum wartest du eigentlich hier draußen?«
»Wulfhard hat im Stall nachgesehen, ob Hunfried wirklich hier ist. Und dann sind die beiden zusammen ins Haus. Wulfhard wollte mir ein Zeichen geben, wenn die Luft rein ist, aber …« Er brach ab und zeigte auf die Herberge.
Ein Viereck aus Licht erschien, in dem Wulfhards hagere Gestalt auftauchte. Der Stallmeister winkte mehrmals, ehe er sich umdrehte und wieder ins Haus ging. Die Tür schloss sich, aber ein schmaler, einladender Spalt aus Helligkeit blieb.
»Das ist sein Zeichen«, rief Gerald.
Ottmar stieß sich vom Baum ab. Sein Gesicht war nur als heller Fleck erkennbar. »Oder er wurde dazu gezwungen. Wir warten hier auf Gernot.«
Gerald zog den Umhang fester um sich. Er versteifte die Kiefer, damit seine Zähne nicht aufeinanderschlugen.
Eckhard betrachtete ihn nachdenklich. »Das geht nicht.«
»Was geht nicht?«
»Selbst wenn es eine Falle ist, wird Wulfhard sich fragen, wo Gerald bleibt, Herr. Er wird ihn suchen, und nichts ist gewonnen. Wir können auf Gernot warten, aber Gerald muss hineingehen.« Heimlich stieß er den Schmied in die Seite und zwinkerte ihm zu.
Der lächelte dankbar, während Ottmar ein finsteres Gesicht zog. »Meinetwegen«, stieß der junge Edelmann schließlich hervor. »Aber wir warten auf Gernot.« Er wandte sich ab und starrte in die Dunkelheit. Seine Hand lag verkrampft auf dem Schwertgriff, und plötzlich begriff Eckhard.
»Ihr macht Euch Sorgen um Euren Waffenmeister?«
Ottmar schnaubte, aber er entspannte sich ein wenig, als der Mönch neben ihn trat und die Hände faltete.
»Gott wird seine gerechte Sache unterstützen, Herr«, sagte Eckhard ruhig. »Ihr werdet sehen, Gernot ist bald bei uns.«
Wulfhard sah schweigend auf die junge Frau hinunter, die sich auf dem unbequemen Strohlager hin und her wälzte. Ihre Augen waren fest geschlossen, auf Stirn und Wangen glänzte ein feiner Schweißfilm.
»Die macht es nicht mehr lange.«
Rodericus ließ das Tuch sinken,
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