Die Reliquie von Buchhorn
»Dann komm.«
Wendelgard schob ein Stückchen Honigkuchen in den Mund und kaute langsam. Ab und zu sah sie zu Udalrich hinüber. Er lächelte ihr zu, aber seine Augen blieben sorgenvoll. Wie aus weiter Ferne hörte sie das Schwatzen und Zanken ihrer Kinder. Ihre Tochter versuchte, auf ihren Schoß zu klettern. Wendelgard wurde blass, als der Schmerz durch ihren geschwollenen Bauch jagte.
Udalrich schlug auf den Tisch. »Lass deine Mutter in Ruhe!«, herrschte er das kleine Mädchen an, das sich schluchzend zu ihren Brüdern flüchtete.
Wendelgard hätte sie gern getröstet, aber sie fand nicht die Kraft dazu. »Bitte, Udalrich«, bat sie leise.
Ihr Mann biss die Zähne zusammen und setzte sich wieder. Sekundenlang war nur der Wind zu hören, der draußen die letzten Wolkenfetzen vertrieb. Die Frühlingssonne malte zitternde Schatten auf den Frühstückstisch. Vor der Tür wurden unterdrückte Stimmen hörbar.
Udalrich sprang auf die Füße, durchquerte mit wenigen Schritten den Raum und riss die Tür auf. »Ich hatte doch ausdrücklich Ruhe befohlen!«, donnerte er.
Anna prallte zurück und sank erschrocken auf die Knie. »Herr«, stammelte sie, »verzeiht, aber …«
»Kein Aber. Halte Ruhe, oder ich lasse dich die Rute spüren!«
Die Augen der Magd füllten sich mit Tränen. »Aber Herr, es ist wichtig«, flüsterte sie. »In Buchhorn ist etwas Schreckliches passiert.«
Udalrich fuhr sich durch die eisgrauen Haare. Er warf seiner Frau einen hastigen Blick zu. »Warte, bis ich meine Frau in ihre Kemenate geleitet habe, dann magst du berichten«, befahl er. Er drehte sich zu Wendelgard um und stockte. »Was ist mit dir, mein Herz?«
Die Gräfin hatte sich auf die Füße gestemmt, und in ihren Augenwinkeln schimmerte es feucht. »Du brauchst mich nicht auf mein Zimmer zu bringen. Ich kann selbst gehen. Ich wusste allerdings nicht, dass ich als deine Frau und Nichte des Königs kein Recht mehr habe zu erfahren, was sich in der Grafschaft abspielt.«
»Aber Wendelgard …« Udalrich hob die Hände und ließ sie wieder sinken. »In deinem Zustand …«
»Ja?«
Sie sahen sich an. Wendelgards Unterlippe bebte, unwillkürlich musste Udalrich an seine kleine Tochter denken. Er hob erneut die Hände. »Wie du willst, mein Herz«, sagte er mit einem resignierenden Seufzer. »Gunhild soll die Kinder fortbringen, dann lass uns in Gottes Namen beginnen.«
Mit einem matten Lächeln ließ Wendelgard sich wieder auf ihren Stuhl sinken. »Ich danke dir.« Sie winkte die Zofe näher, die stumm im Hintergrund gewartet hatte. »Gunhild, die Kinder haben ihr Frühstück beendet.«
»Ja, Herrin.« Die Frau nahm das Mädchen an die Hand und führte es hinaus. Auch die beiden Jungen entschieden angesichts der hervortretenden Ader an der Schläfe ihres Vaters, dass es besser war, zu gehorchen.
Als sie allein waren, wandte sich der Graf wieder Anna zu. Die junge Magd war aufgestanden und drückte ihren Rücken schutzsuchend gegen die kalte Wand.
»Nun sprich. Was ist in Buchhorn passiert?«
Ohne dem Grafen in die Augen zu sehen, sprudelte Anna hervor: »Draußen sind Hannes und Bertram, Herr, und Bertold. Er war gestern mit Gisbert im Dorf und …«, sie sah nicht, wie der Graf die Rechte hob, »und dann war Bertold wohl in Dietgers Hütte und …«
»Halt!«
Annas Stimme erstarb. »Herr?«
Udalrich zwang sich zur Ruhe. »Noch einmal, wer ist draußen? Was ist passiert? Der Reihe nach.«
Anna öffnete den Mund, aber sie war zu verschüchtert, um einen Ton herauszubringen.
»Hannes, hast du gesagt? Der Wirt der Buche?« Wendelgards Stimme war sanft.
Anna nickte.
»Und ein Mann namens Bertram?«
»Der …, der Töpfer.«
»Dann sollten wir sie vielleicht berichten lassen«, schlug die Gräfin vor. Sie strich ihrem Mann verstohlen über den Handrücken. »Und Anna kann gehen.«
Das Mädchen blickte hoffnungsvoll auf, und auch Udalrichs Wange zuckte, als unterdrücke er ein Lächeln. »Du hast deine Herrin gehört, Anna. Hol die Männer, und dann lauf.«
Anna huschte mit einer tiefen Verbeugung davon, und wenig später betraten drei Männer den Raum. Hannes und Bertram trugen ihre besten Wämser. Unter anderen Umständen hätte Udalrich vielleicht über ihre verlegenen Mienen gelächelt, doch seine ganze Aufmerksamkeit galt dem dritten Mann. Der Knecht trug einen viel zu großen Kittel, auf dem sich Blutspuren abzeichneten. Als er sich auf die Knie niederließ, stöhnte er vor Schmerz.
Udalrichs
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