Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
angebracht war, einzigartig in ganz Prag und Symbol des Reichtums der Familie Asgodon.
Johann trat auf die Straße. Die Luft war eisig kalt, aber wohlriechend. Anders als in Rothenburg liefen hier keine Schweine durch die Gassen, und die Straßen waren mit Steinen gepflastert.
Johann mischte sich unter den nicht versiegenden Strom der Menschen. Anfänglich hatte er sich immer umgesehen, war zusammengezuckt, wenn ihn jemand berührt hatte. Dietz hatte ihm erklärt, dass es in einer Stadt, in der so viele Menschen wohnten, etwas enger zuging. Deshalb musste man besonders achtsam sein. Hier gab es viele Beutelschneider, die oft fette Beute machten, wenn man nicht aufpasste. Wer allerdings bei einem Diebstahl erwischt wurde, bezahlte mit seiner Hand und der Verbannung auf Lebenszeit.
»Tragt den Beutel immer direkt am Körper, dann macht Ihr es den Dieben schwer«, hatte Dietz gesagt und Johann gezeigt, wie er sich den Beutel unter die Achsel knüpfte.
Inzwischen verstand Johann auch ein paar Brocken Tschechisch: »Guten Tag« konnte er sagen und »Gott beschütze Euch«. Die Bauersfrauen auf dem Markt freuten sich, wenn er sie auf Tschechisch ansprach, und die eine oder andere hatte ihm sogar schon etwas geschenkt und zahnlos gegrinst, wenn er sich unbeholfen bedankt hatte.
Zügig überquerte er den Altstädter Ring, entfloh den Gerüchen der Garküchen, in denen heiße Suppe, duftender Würzwein und gebratene Äpfel angeboten wurden. Ihm stand nicht der Sinn nach Gaumenfreuden. Ganz im Gegenteil. Allein der Gedanke an Essen versetzte seinen Magen erneut in Aufruhr. Er bog rechts in eine enge Gasse, folgte ihr bis zum Ende, bog links ab und erreichte die Moldau. Die Furt wurde zu dieser Jahreszeit nur von wenigen Fuhrwerken benutzt, das Wasser war zu kalt, um hindurchzuwaten. Oberhalb der Furt entstand eine Mauer, an der Schiffe anlegen konnten, ein Teil der neuen Stadtbefestigung. Mächtige Steinblöcke warteten darauf, im Flussbett versenkt zu werden, um das Fundament für ein weiteres Mauerstück zu bilden. Alles hier war größer als in Rothenburg: der Fluss, die Baustellen, die Burg, der Wissensdurst, die Märkte und vor allem die Großzügigkeit der Menschen.
Johann drehte sich zu den Häusern, die etwa einhundert Fuß von der Baustelle entfernt waren. Aus der anderen Richtung näherte sich eine Gruppe Menschen. Es waren Deutschordensritter, fünf an der Zahl, und ein weiterer Ritter, der offenbar nicht dem Orden angehörte. Zwischen ihnen erkannte er noch eine Gestalt, die jedoch von den Rittern fast vollständig verdeckt wurde. Die Männer steuerten auf ein jüdisches Haus zu, die Tür wurde geöffnet, und sie verschwanden darin.
Johann wandte seinen Blick ab und ging weiter. Nach wenigen Schritten stand er vor dem Haus von Schmul ben Asgodon. Die Mesusa war in der Tat ein Meisterstück und sicherlich von hohem Wert.
Vorsichtig klopfte Johann an die Tür. Er wollte nicht den Eindruck erwecken, aufdringlich oder gar feindselig zu sein.
Das Sichtfenster öffnete sich, und ein Mann mit weißem Bart, Kippa auf dem Kopf und Gebetsschal um den Hals lugte durch die Öffnung.
»Schalom«, sagte Johann.
Die Augen des Mannes verengten sich. »Seid Ihr Jude?«
Johann schüttelte den Kopf. »Nein, aber ich suche eine Jüdin.«
»Wer seid Ihr?«
»Verzeiht. Ich bin Johann von Wallhausen, Händler aus Rothenburg ob der Tauber.«
»Und weil es in Rothenburg keine Juden mehr gibt, sucht Ihr sie jetzt hier?«, fuhr der Mann ihn an.
»Ich kein Judenfeind. Ich suche eine Freundin, die spurlos verschwunden ist. Sie hört auf den Namen Rebekka bat Menachem. Ich glaube, dass sie das Morden in Rothenburg überlebt hat. Habt Ihr den Namen schon einmal gehört?«
»Nein. Und jetzt geht Eurer Wege, wenn ich bitten darf. Friede sei mit Euch.«
Der Mann machte Anstalten, das Fensterchen zu schließen, aber so schnell wollte sich Johann nicht abspeisen lassen. »Schmul ben Asgodon, ich bitte Euch.« Der Mann reagierte nicht. »Ihr seid doch Schmul ben Asgodon, oder?«
»Redet, schnell!«
Immerhin das hatte Johann herausgefunden: Dieser Mann war Schmul ben Asgodon. »Rebekka und ich kennen uns von Kindheit an. Sie hat mir alles über die Juden erzählt, und ich weiß, dass Euer Volk weder Brunnen vergiftet noch Kinder verspeist und auch keine Hostien schändet. Ich will doch nur wissen, ob es ihr gut geht.«
»Kommt morgen wieder, kurz vor Sonnenuntergang. Und bringt einen Beweis mit, dass Ihr die Wahrheit
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