Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
rechten Ecke Feuer, richtete seinen heißen Odem auf eine kleine Kapelle, ein Haus Gottes, das sich direkt in dem Feld über dem Drachen an die Trennlinie schmiegte und daher schräg angeschnitten war. Links daneben wuchs ein blühender Kirschbaum in den Himmel, und auf der anderen Seite schwebte ein Schwert in der Luft.
Kein Zweifel, das war nicht das Stammwappen der Belcredis. Das hatte sich Engelbert am Vortag von einem der königlichen Wappenherolde beschreiben lassen. Dann war dies vermutlich das Wappen der ›Hüter der Christenheit‹: Der Baum des Glaubens und das Schwert der Gläubigen verteidigen das Haus Gottes gegen den feuerspeienden Drachen, Symbol des Teufels.
Engelbert durchfuhr ein heißer Schreck, wenn er daran dachte, wie nah Karls Feinde am Ziel ihrer Wünsche gewesen waren: Vojtech hätte Rebekka vermutlich nur diese Bibel wegnehmen müssen. Sie war der Schlüssel zu der Reliquie, es konnte gar nicht anders sein.
Rebekka starrte ihn an. »Was seht Ihr? Die ganze Zeit schnauft Ihr, als würdet Ihr einen steilen Hang hinaufeilen.«
»Schaut her.« Er hielt Rebekka die aufgeschlagene Bibel hin. »Dieses Wappen ist nicht das Stammwappen des Hauses Belcredi. Es ist das Wappen der ›Hüter der Christenheit‹.«
»Und wie hilft uns das weiter?«
»In diesem Buch muss ein Hinweis auf das Versteck der Reliquie sein. Wir müssen ihn nur finden.« Engelbert begutachtete die Bibel von außen. Bereits der Einband verriet, wie kostbar sie war. Feinstes dunkelbraunes Lammleder, mit verschnörkelten Ornamenten verziert, die wie Wasser über das Leder flossen. Ein Meisterwerk. Der Verschluss war aus Gold und Silber gearbeitet, die Spangen aus Messing.
Engelbert schlug das Buch erneut auf und begann zu blättern. Vollendete Schriftzeichen füllten die hauchdünnen Pergamentblätter, einige waren eingerissen und mit hauchfeinem Seidengarn wieder zusammengenäht. Er las hier und da ein paar Zeilen, bis er plötzlich ins Stolpern geriet. Mit klopfendem Herzen las er den Vers ein zweites Mal. Nein, er hatte sich nicht getäuscht: Zwischen zwei Wörtern stand ein Zeichen, das nicht dorthin gehörte!
Rasch blätterte er weiter und fand alsbald eine zweite Stelle mit einem zusätzlichen Zeichen. Zunächst dachte er, es seien Buchstaben, erst ein überflüssiges »L«, dann ein »X«. Doch dann wurde ihm klar, dass es Zahlen sein mussten. Ja, es waren Zahlen, aber sie dienten nicht dem Zweck, die Zeilen zu markieren, und ergaben auch sonst keinerlei Sinn. Eine verschlüsselte Nachricht!
Engelbert blätterte immer hektischer hin und her. Sein Puls raste. War es wirklich so einfach? Ein simpler Zahlenschlüssel, der das Versteck der Reliquie preisgab? Nun, er würde es herausfinden, und zwar noch heute. »Auf, Rebekka, wir machen einen kleinen Spaziergang.« Er hielt die Bibel hoch. »Ich habe Zahlen an Stellen entdeckt, wo keine hingehören. Es muss eine verschlüsselte Botschaft sein.«
»Und wohin wollt Ihr spazieren?«
Engelbert lächelte. »Ich kenne in ganz Prag nur einen, der die Botschaft vielleicht entschlüsseln kann. Und der ist Jude und wohnt an der Moldau, nur einen kurzen Fußmarsch von hier entfernt.«
Rebekka lächelte ebenfalls. »Seht Ihr, Ordensritter? Ohne uns Juden wärt Ihr Christen verloren.«
Bevor Engelbert antworten konnte, klopfte es an der Kammertür. Er öffnete und fuhr erschrocken zurück, als Matyas Romerskirch vor ihm stand und ihm ein Pergament vor die Nase hielt. Wie viel hatte der Spion des Königs mit angehört?
»Der König wünscht, dass ich Euch bei jedem Eurer Schritte mit Rat und Tat zur Seite stehe«, sagte er und warf sich selbstgefällig in die Brust.
Engelbert entrollte das Dokument und las, was der König geschrieben hatte:
Amicus Engelbert, geschätzter Diener des Reiches. Matyas ist einer unserer besten Männer, absolut vertrauenswürdig. Was Ihr uns sagen wollt, das könnt Ihr auch ihm anvertrauen. Er würde sein Leben geben, um unsere Mission zu erfüllen. Verzeiht ihm sein Misstrauen. Und vergesst nicht: Er hat uns schon zweimal das Leben gerettet .
Engelbert presste die Lippen zusammen. Diese neugierige Schlange hatte ihm gerade noch gefehlt. Romerskirch wartete doch nur darauf, ihn bei einem Fehler zu ertappen. Oder bei einer Lüge. Widerwillig setzte er ein Lächeln auf und streckte Romerskirch die Hand hin. »Willkommen in unserer kleinen, aber feinen Truppe.«
Romerskirch griff zu. »Und? Gibt es schon eine erste Spur?«
»Ihr habt eine feine
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