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Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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fallen, schlugen einen Haken und stürmten davon.
    Johann ballte die Fäuste, dann wandte er sich ab und blickte wieder zu dem Haus. In dem Augenblick ertönte ein lautes Ächzen, das fast wie der Schmerzenslaut eines lebendigen Wesens klang. Das Gebäude erzitterte, dann brachen die Trümmer des oberen Stockwerks durch die Decke. Es krachte ohrenbetäubend, eine Staubwolke erhob sich in die Lüfte, und innerhalb weniger Augenblicke war von dem Gebäude nicht mehr übrig als ein riesiger Trümmerhaufen.
    Johann schloss die Augen. »Rebekka«, stöhnte er lautlos. »Oh mein Gott, Rebekka!«
***
    Von ihrem sicheren Platz hinter dem Brunnen aus beobachtete Rebekka, wie zwei Männer mit gelben Ringen auf ihren Mänteln und grünen Judenhüten die Straße entlangkamen. Sie schienen in ein ernstes Gespräch vertieft, hatten keine Augen für ihre Umgebung. Kurz bevor sie auf der Höhe des Brunnens waren, bogen sie ab und hielten auf die Synagoge zu.
    Rebekka sah zu, wie die Männer sich langsam entfernten. Seit zwei Tagen weilte sie in Nürnberg. Die ganze Zeit hatte sie befürchtet, jemand würde herausfinden, wer sie wirklich war, und sie an die Büttel ausliefern. Sie hatte es nicht einmal gewagt, auf dem Markt beiläufig zu fragen, ob es Neuigkeiten gab. Erst heute, mit dem Wissen, dass sie die Stadt in wenigen Stunden verlassen würde, hatte sie allen Mut zusammengenommen und sich zum Judenviertel aufgemacht.
    Die Männer waren fort. Rebekka richtete sich auf. Jetzt war ein guter Augenblick; die Gasse war menschenleer, niemand würde sehen, wie sie am Haus des Rabbis klopfte und eingelassen wurde. Gerade wollte sie losrennen, als von der Pegnitz her zwei weitere Männer in die Straße bogen. Der eine balancierte über die ausgelegten Bretter, als wolle er einen Tanz vollführen, seinen Kopf zierte eine merkwürdige, fremdländisch anmutende Bedeckung, ein langes, dutzendfach verschlungenes Tuch. Der andere schien sich nicht darum zu scheren, dass seine Füße schlammig wurden. Rebekka hielt inne und beobachtete, wie die beiden näher kamen.
    Plötzlich erstarrte sie. Der erste Mann trug keine seltsame Kopfbedeckung, sondern einen Verband: Hermo Mosbach! Sein Begleiter war einer der städtischen Büttel, ein kleiner untersetzter Mann mit wachsamen Schweinsäuglein.
    Rebekkas Beine drohten nachzugeben, sie krallte ihre Finger in den Brunnenrand. Ganz offenbar waren die Männer auf der Suche nach ihr. Hoffentlich blickten sie nicht in ihre Richtung!
    Vor dem Haus des Rabbis blieb der Büttel stehen und erklärte Mosbach etwas, der das Gesicht verzog und grimmig nickte. Rebekka hielt den Atem an. Nicht herschauen , flehte sie. Bitte nicht herschauen!
    Endlich setzten sich die beiden wieder in Bewegung. Sie traten vor die Tür, der Büttel hämmerte mit der Faust gegen das Holz.
    Kurz darauf wurde geöffnet. Eine Magd steckte den Kopf heraus, sah die beiden Männer überrascht an und stellte sich dann auf die Zehenspitzen, um über deren Schultern hinweg auf die Straße zu spähen.
    Rebekka presste sich noch dichter an den Brunnen. Unwillkürlich schloss sie die Augen. Sie hörte Gemurmel, gefolgt von Schritten und dem Knallen einer Tür. Ängstlich öffnete sie die Augen. Mosbach und der Büttel waren verschwunden.
    Es dauerte noch einige Herzschläge, bis Rebekka sich so weit gefasst hatte, dass sie ihren Beobachtungsposten verlassen konnte. Ohne innezuhalten, rannte sie zurück zum Haus des Kaufmanns Egmund Langurius.
    Als sie auf dem Marktplatz eintraf, bemerkte sie halb erleichtert, halb entsetzt, dass die Fuhrwerke schon bereitstanden. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis sich der Zug in Bewegung setzte. Adonai sei Dank! Allerdings würde sie nun abreisen müssen, ohne zu erfahren, was seit ihrer Flucht in Rothenburg geschehen war.
    Rebekka verlangsamte ihre Schritte, um keine neugierigen Blicke auf sich zu ziehen. Sie hatte gehofft, beim Rabbi etwas über das Schicksal der Rothenburger Gemeinde zu erfahren. Wenn dort etwas Schlimmes geschehen war, wussten die Nürnberger Juden sicherlich schon darüber Bescheid. Doch dieses Vorhaben hatte Mosbach vereitelt. Sie musste nach Prag aufbrechen, ohne zu wissen, was aus ihren Eltern geworden war, ohne zu wissen, ob der gütige und kluge Menachem ben Jehuda und seine warmherzige Gemahlin Esther bat Abraham und all die anderen Juden in Rothenburg überhaupt noch lebten.
    J UNI 1340/S IWAN 5100
    Seit sie Schawuot gefeiert hatten, hatte es fast ohne Unterlass geregnet. Als

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