Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
Arm. »Jedenfalls bin ich froh, dass Ihr wohlbehalten hier eingetroffen seid. Heute Morgen habe ich mir ernsthaft Sorgen um Euch gemacht.«
»Sorgen? Um mich? Aber warum denn?« Rebekka dachte an den Aufruhr im Rothenburger Judenviertel. Wusste der Kaufmann etwa doch von ihrer wahren Herkunft?
»Weil allerhand zwielichtiges Pack auf den Straßen unterwegs ist.« Langurius ballte die Faust. »Erst heute Nacht ist ein angesehener Rothenburger Bürger im Wald überfallen worden.«
Rebekkas Herzschlag setzte aus. Fieberhaft überlegte sie, was eine Christin darauf wohl sagen würde, und sie besann sich auf etwas, das jemand sie vor langer Zeit gelehrt hatte. Sie hob die rechte Hand, führte sie erst an die Stirn, dann an den Bauch, die linke und die rechte Schulter. Das Kreuz schlagen, so nannten die Christen es.
Der Kaufmann nickte und tat es ihr gleich. »Der Herr steh uns bei«, murmelte er.
»Amen«, kam es von der Köchin, die aufstand, das gerupfte Huhn auf den Tisch warf und durch eine Tür nach draußen verschwand.
Langurius verzog das Gesicht. »Der arme Kerl war ebenfalls auf dem Weg nach Nürnberg. Zuerst dachte ich, es könne sich um den Mann handeln, der Euch herbringen sollte. Doch dann hieß es, er sei allein unterwegs gewesen. Händler haben ihn am Wegesrand aufgelesen und mitgebracht. Der Ärmste hat eine schwere Verletzung am Kopf, so sagt man. Angeblich wurde er von einem wilden Judenweib angefallen. Sie soll ihn ohnmächtig geschlagen haben, um ihm sein Geschlechtsteil abzuschneiden, das sie für einen dieser gottlosen Bräuche benötigte. Und sein ganzes Geld hat sie ihm gestohlen.«
Rebekka schlug die Hand vor den Mund. Ihr war plötzlich übel.
»Entsetzlich, nicht wahr?«, sagte der Kaufmann mitfühlend. »Ich glaube ja eigentlich nicht an diesen ganzen Unfug, den man über das Judenvolk erzählt, dass sie Säuglinge stehlen und opfern, dass sie Hostien schänden und die Brunnen mit dem Schwarzen Tod vergiften. Schließlich trinken sie selbst von dem Wasser.« Er kratzte sich am Kopf. »Andererseits fanden die Kaufleute den armen Mann tatsächlich mit entblößtem Unterleib. Vielleicht stimmt es also doch.« Er ließ seine mächtige Hand auf den Tisch krachen. »Sei es drum. Der Schultheiß hat sich jedenfalls eine Beschreibung der Judenmetze geben lassen. Bestimmt wird sie bald ergriffen, und dann wird der Henker ihr flugs die Zunge lösen.«
***
Johann von Wallhausen stand am geöffneten Fenster und schaute die Herrngasse hinauf zum Marktplatz. Die frische Luft klärte seinen brummenden Schädel. Verflucht, wie viele Becher Wein hatte er gestern Abend geleert? Ein gutes Dutzend mussten es gewesen sein. Nun ja, es hatte ja auch einen ganz besonderen Grund zum Feiern gegeben. Gestern hatten sein Vater und Oswald Herwagen den Verlobungsvertrag aufgesetzt, schon bald würde er die wunderschöne Agnes Herwagen heiraten. Sie war nicht nur eine äußerst gute Partie, sondern zudem noch eine liebreizende Augenweide, die ihresgleichen suchte.
Nach der Vertragsunterzeichnung hatte Johann mit seinem Vater und seinem zukünftigen Schwiegervater angestoßen. Dabei hatte er wohl ein wenig zu viel des Guten getan. Johann runzelte die Stirn und versuchte, sich an den Abend zu erinnern, doch vor seinem inneren Auge verschwammen die unscharfen Bilder zu einem konturlosen Durcheinander. War Oswald Herwagen heimgegangen oder bis zum Schluss geblieben? Wie war er selbst ins Bett gekommen? Johann stöhnte. Verfluchter Rebensaft! In den nächsten Wochen würde er erst einmal die Finger davonlassen.
Plötzlich streifte ihn eine Erinnerung. Ein Knecht hatte spät in der Nacht an die Tür geklopft und aufgeregt etwas gerufen. Johann hatte nicht mitbekommen, worum es ging, doch sein Vater und Herwagen hatten mit einem Mal todernst dreingeblickt. Was danach geschehen war, fiel Johann ums Verrecken nicht mehr ein.
Missgestimmt fuhr er in seine Kleider, legte den Gürtel um und zog den Mantel an. Er hatte seinem Vater versprochen, heute auf dem Gut nach dem Rechten zu sehen, zu überprüfen, ob bei der Lagerung der Ernte alles ordnungsgemäß verlief. Der Ritt durch die kalte Morgenluft würde ihm den Wein aus dem Körper treiben und seine Laune heben, dessen war er sicher. Rasch eilte er die Treppe hinunter und durch die Hintertür auf den Hof. Er befahl einem der Knechte, seinen Wallach zu satteln, dann schöpfte er einen Eimer Wasser aus dem Brunnen und benetzte sein Gesicht.
»Da bist du ja endlich.«
Die
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