Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
fragte Rebekka überrascht. Für sie gab es nichts Schöneres als die Unterrichtsstunden beim Rabbi mit all den vielen neuen Dingen, die sie von ihm erfuhr.
Johann zuckte mit den Schultern. »Ich jage lieber Kaninchen, fange Fische in der Tauber oder übe mich im Umgang mit dem Bogen. Ein Mann muss kämpfen können. Nur so kann er seine Familie beschützen.«
»Juden dürfen nicht kämpfen«, sagte Rebekka.
»Und wie beschützen eure Männer die Frauen und Kinder?«, fragte Johann.
»Sie zahlen Schutzgeld an den König. Er verbürgt sich für unsere Sicherheit.«
»Aber er ist doch gar nicht hier«, wandte Johann ein. »Ich möchte kein Jude sein. Ich fände es blöd, wenn ich nicht kämpfen dürfte. Was für ein langweiliges Leben!«
Rebekka sah ihn nachdenklich an. »Der Rabbi sagt immer: Wissen ist Macht. Und Klugheit ist die mächtigste Waffe.«
»Ach ja?« Johann grinste schelmisch. »Das will ich sehen.« Er hob einen Stock vom Boden auf und trat drohend auf Rebekka zu.
Rasch duckte sie sich und sprang zurück. Johann schwang den Stock. Rebekka war nicht sicher, ob er spielte oder ob es ihm ernst war. Fieberhaft überlegte sie. Das Loch kam ihr in den Sinn, das sie vor einiger Zeit entdeckt hatte. Es klaffte hinter einem Gestrüpp in der Mauer, vielleicht war es einmal ein Wasserabfluss gewesen oder ein verborgener Zugang zur Burg.
Schnell rannte sie los. Johann folgte ihr. Sie schlug ein paar Haken, wendete abrupt, um ihn zu verwirren, dann sprang sie über eine niedrige Mauer, drückte das Gestrüpp zur Seite und presste sich in das Loch. Außer Atem horchte sie. Schritte tappten über den Boden, entfernten sich, kamen zurück.
Eine Weile geschah nichts, dann hörte sie eine Stimme. »Rebekka? Rebekka, wo steckst du?«
Sie antwortete nicht. Das war der älteste Trick der Welt, auf den fiel sie nicht herein.
»Rebekka. Du hast gewonnen. Ich gebe auf.«
Noch immer schwieg sie. Was, wenn sie aus dem Versteck kroch und er sich auf sie stürzte? Er war größer und stärker als sie, sie hätte ihm nichts entgegenzusetzen.
Er rief noch einige Male, dann wurde es still. Rebekka zwang sich, noch eine Weile in dem Versteck auszuharren, obwohl es ihr langsam unheimlich wurde. Außerdem ging es inzwischen auf den Abend zu; ihre Eltern hatten bestimmt längst bemerkt, dass sie ausgebüxt war. Schließlich wagte sie es, ihr Versteck zu verlassen. Sie schob die Zweige beiseite und krabbelte heraus. Vorsichtig schaute sie in alle Richtungen. Nichts zu sehen. Sie lief zu der Stelle, wo sie gesessen und den lateinischen Spruch niedergeschrieben hatte. Niemand war dort. Leider fehlte auch von ihrer Tafel jede Spur. Adonai! Das würde Ärger geben! Enttäuscht trabte sie auf das Stadttor zu. Dabei hatte sie Johann anfangs gemocht. Wie dumm von ihr!
Kurz vor dem Tor entdeckte sie ihn. Er saß auf einem Stein, die Tafel lag auf seinem Schoß. »Rebekka! Da bist du ja.« Er sprang auf. »Ich habe mir Sorgen gemacht. Hast du mich nicht rufen hören?«
»Das war doch ein billiger Trick«, gab sie zurück, halb wütend, halb erleichtert.
»Nein, war es nicht«, widersprach er. Dann legte er den Kopf schief. »Also gut, anfangs schon. Aber dann habe ich wirklich Angst gehabt, dir könnte etwas passiert sein.«
Rebekka grinste. »Dann habe ich gewonnen.«
»Dieses Mal ja«, knurrte er. »Ich werde dich aber wieder fordern, und dann gnade dir Gott.«
Eine Weile standen sie verlegen einander gegenüber.
»Hier«, sagte Johann schließlich und reichte ihr die Tafel. »Beim nächsten Mal stelle ich dich auf die Probe, dann musst du mir beweisen, dass du wirklich ein so gutes Gedächtnis hast.« Er winkte und rannte los. Augenblicke später schluckte ihn das Stadttor, ohne dass er sich noch einmal umgedreht hatte.
S TADT DER H OFFNUNG
O KTOBER 1349/C HESCHWAN 5110
Der Zug war noch länger, als Rebekka erwartet hatte. Er setzte sich zusammen aus mehr als zwei Dutzend Wagen, vollgeladen mit Handelsgütern, etwa doppelt so vielen berittenen Söldnern, den Kaufleuten mit ihren Knechten und einem fahrenden Kesselflicker, der sich ihnen angeschlossen hatte. Außer Rebekka reisten einige wenige weitere Frauen mit: Einer der Kaufleute hatte sein Weib dabei, ebenso wie der Kesselflicker, zudem fuhr ganz am Ende des Zugs ein Wagen mit zwei Hübschlerinnen, die sich offenbar gute Geschäfte mit den Söldnern versprachen. Rebekka konnte diese Frauen nicht verstehen. Allein der Gedanke an Mosbachs schwielige Hände ließ
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