Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
es gemeinsam anpacken, sind die Männer schnell beigesetzt.«
Die Übrigen nickten zustimmend, und so lenkte der Alte ein. Befehle wurden gebrüllt, kurz darauf hoben einige der Söldner eine Grube am Rand der Straße aus, was trotz der Bedenken des alten Krömmbach rasch voranging, denn unter einer dünnen gefrorenen Schicht erwies sich der Waldboden als überraschend locker.
Rebekka wandte sich ab, um zu ihrem Platz auf dem Wagen zurückzukehren. Der Anblick der geschundenen Leiber stimmte sie traurig. Sie dachte an ihre Zieheltern und sprach ein stummes Gebet. Plötzlich vernahm sie ein leises Geräusch. Abrupt blieb sie stehen und horchte. Da, wieder! Jemand stöhnte leise, ganz in ihrer Nähe. Rebekka sah sich um. Sie stand unmittelbar neben einem der umgestürzten Wagen. Rasch beugte sie sich vor und schaute darunter. Tatsächlich, eingequetscht zwischen den Wagenrädern lag ein Mann in der schwarz-weißen Tracht eines Ritters des Deutschen Ordens. Das bärtige Gesicht war bleich und schmerzverzerrt, die Finger blau gefroren.
Mit klopfendem Herzen richtete Rebekka sich auf. »Hierher!«, rief sie mit zitternder Stimme. »Kommt sofort hierher. Hier liegt einer, der noch lebt!«
***
Karl zog an den Zügeln. Trotz Pelzkragen, Handschuhen und Pelzkappe kroch ihm die Kälte in die Knochen. Eisiger Wind schnitt ihm ins Gesicht und ließ die Schneeflocken tanzen.
Ohne den Blick von den weiß bepuderten Mauern, Baukränen, Steinhaufen und Arbeitsgeräten zu wenden, winkte er einen Mann zu sich, der in einiger Entfernung auf einem Schimmel saß und in den Händen eine Schriftrolle trug.
Der Mann ritt unverzüglich heran. »Eure Majestät?«
Karl musterte den Baumeister. Er war betagt, ein langer weißer Bart verdeckte die Hälfte seines Antlitzes, doch seine Augen blickten wach. »Wie geht es voran?«, fragte Karl. »Wachsen die Mauern?«
»Bisher läuft alles nach Plan«, erwiderte der Baumeister. »Doch wenn jetzt der Winter einbricht, müssen wir die meisten Arbeiten einstellen, dann geht es erst im Frühjahr weiter.«
Karl nickte ungeduldig. »Nun gut, doch lasst nicht nach in Euren Bemühungen. Unterbrecht nur, wenn es gar nicht anders geht. Diese Burg soll ein Hort des wahren Glaubens werden. Das Zentrum des Heiligen Römischen Reiches. Je schneller sie vollendet ist, desto besser. Der Herr im Himmel wird es Euch danken!«
»Amen.« Der Baumeister bekreuzigte sich.
Karl wollte ihn schon fortschicken, als er sah, dass der Alte zögerte. »Ist noch etwas?«
Der Baumeister kratzte sich verlegen am Bart. »Es gibt da ein Problem.«
»Ach, und welches?«, herrschte Karl ihn ungeduldig an.
»Der Brunnen.« Der Alte zögerte. »Die Bergmänner haben den Schacht schon hundert Fuß durch den Fels in die Tiefe getrieben, doch sie sind noch immer nicht auf Wasser gestoßen.«
»Verflucht!« Karl presste die Lippen zusammen. Der Brunnen war die Achillesferse einer jeden Burg. Ohne Wasser hielt niemand lange einer Belagerung stand. Karl sah den Alten eindringlich an. »Sie sollen weitergraben. Irgendwann müssen sie auf Wasser stoßen, irgendwann muss der Fels seine Quelle preisgeben.«
»Sehr wohl, Eure Majestät.«
Karl beugte sich im Sattel vor und senkte die Stimme. »Und zu niemandem ein Wort, verstanden?«
Der Baumeister nickte ernst. »Wie Eure Majestät wünschen.«
Karl winkte ihn fort und gab seiner Leibgarde das Zeichen zum Aufbruch. »Wir kehren zurück nach Prag.«
Vorsichtig ritten sie den steilen Pfad hinab ins Tal und zurück in die Stadt. Karl starrte während des gesamten Heimwegs blicklos in das Schneetreiben und gab sich seinen trüben Gedanken hin. Ein Fluch schien auf diesem Jahr zu liegen. Der Schwarze Tod suchte das Reich heim und entvölkerte ganze Städte. Die Angst vor der Seuche säte Zwietracht unter den Menschen; der Vater traute dem Sohn nicht mehr, Eltern verließen ihre sterbenden Kinder, jeder sorgte sich nur noch um das eigene nackte Überleben. Dieser Prüfung des Glaubens hielten nur wenige stand. Selbst Priester und Mönche suchten das Weite, verließen ihre Schäfchen und überließen sie dem Tod, ohne ihnen die letzte Ölung zu erteilen.
Und zu allem Überfluss gab es auf seiner Burg, seinem Karlstein, das er zur Krone des Reiches machen wollte, kein Grundwasser. Eine Burg ohne Brunnen war wie ein Leib ohne Blut, ein Organismus ohne Lebenssaft. Hatte der Herr im Himmel sich von ihm abgewandt? War er vor dem himmlischen Vater in Ungnade gefallen? Nein! Gott wollte ihn
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