Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
alberner Aberglaube, der viel Leid über die Menschen bringe.
»Und jetzt üben wir, wie man das Kreuz schlägt«, hatte Johann geschäftsmäßig hinzugefügt, so, als hätte er ihren ungläubigen Gesichtsausdruck gar nicht bemerkt. »Und wenn du es gut machst, erzähle ich dir die Geschichte von Georg, dem Drachentöter, und verrate dir, wo du ein Bildnis von ihm findest.«
So standen sie nun in der verfallenen Kapelle, und Rebekka übte mit klopfendem Herzen das Kreuzzeichen, voller Angst, Gott könne ihr zürnen, weil sie seinen Namen mit den christlichen Handlungen beschmutzte. Zwei Jahre war es her, seit sie sich zum ersten Mal auf dem Gelände der alten Burg begegnet waren, und seither hatten sie sich zum Spielen getroffen, so oft es ging. Rebekka hatte Johann erklärt, was koscher bedeutete, warum sich im Eingang eines jeden jüdischen Hauses eine Mesusa befand und warum sie das Laubhüttenfest so sehr liebte. Johann hatte ihr von dem christlichen Gottessohn erzählt, der in einem Stall zur Welt gekommen war, und ihr das Vater, unser auf Latein beigebracht. Die meiste Zeit hatten sie jedoch damit verbracht, als König Johann und Königin Rebekka über das kleine Reich zu regieren, das von der mächtigen Burgruine aus beherrscht wurde. Sie hatten Kriege geführt, Friedensverträge geschlossen, prächtige Bälle gegeben und waren auf die Jagd gegangen. Leider durfte niemand etwas von ihrer heimlichen Freundschaft wissen, denn Rebekka hatte gar nicht die Erlaubnis, sich so weit aus dem Judenviertel zu entfernen. Johann hatte zwar keine Bestrafung vonseiten seiner Eltern zu befürchten, dafür aber den Spott und die Hänseleien seiner Schulkameraden. Also achteten sie darauf, unentdeckt zu bleiben.
»So ist es besser«, lobte Johann, nachdem Rebekka noch einmal mit feierlichem Gesicht das Kreuz geschlagen hatte. »Aus dir wird noch eine richtig gute Christin, du wirst schon sehen.«
»Ich will aber keine Christin werden! Ich bin Jüdin.« Rebekka verschränkte die Arme.
Johann wurde ernst. »Aber du musst Christin werden! Sonst können wir nicht heiraten.«
***
Rebekka erwachte von Geschrei und lautem Poltern. Verwirrt richtete sie sich auf. Der Ordensritter, der neben ihr auf dem Wagen lag, schnarchte leise. Die Plane wurde zurückgeschlagen, und ein Mann herrschte sie in einer fremden Sprache an. Dann tauchte Langurius auf und redete gestenreich auf den Mann ein. Offenbar beherrschte der Kaufmann das Tschechische fließend.
Verschlafen krabbelte Rebekka von der Ladefläche und blickte sich um. Die Wagen des Zuges standen in einer langen Schlange vor einem zweistöckigen Gebäude kurz hinter einem Stadttor. Die Planen waren zurückgeschlagen, Männer mit Wachstafeln in der Hand begutachteten die Waren, zählten Kisten und Fässer und machten Notizen. Wie es schien, wurde hier der Zoll entrichtet.
Neugierig sah Rebekka sich um. Viel konnte sie nicht erkennen. Die Straße war schmal und schlammig, Kinder spielten im Dreck. Auf der gegenüberliegenden Seite öffnete sich eine Tür, eine dicke Frau trat heraus und leerte im hohen Bogen einen Eimer mit Küchenabfällen. Rebekka fröstelte. Das also war Prag, die Stadt, aus der ihre Familie stammte. Ihre Familie – wie seltsam das plötzlich klang! Ihre Familie, das waren für sie immer noch Menachem ben Jehuda und seine Frau Esther, die beiden Menschen, die sie großgezogen hatten und die sie über alles liebte.
Rebekka zog den Mantel fester um sich. Die Luft war so kalt, dass ihr der Atem weiß vor dem Gesicht stand. Immerhin hatte es aufgehört zu schneien, und eine fahle Morgensonne kämpfte mit der Dunstschicht über der Stadt.
Rebekka drehte sich zu Langurius um, der noch immer mit dem Zöllner verhandelte. Jetzt wäre der richtige Augenblick, sich zu verabschieden. Sie könnte behaupten, dass sie sich von hier aus allein auf den Weg zum Kloster machen wolle, und heimlich eine Unterkunft suchen. Kurz entschlossen stieg Rebekka zurück auf den Wagen, um ihr Bündel zu holen. Engelbert von der Hardenburg war inzwischen erwacht.
»Wir sind in Prag angekommen«, erzählte sie ihm. »Der Kaufmann wird Euch bei Euren Ordensbrüdern abliefern, sobald der Zoll entrichtet ist.«
»Und Ihr?«, murmelte der Ordensritter. Es ging ihm besser, doch er schien immer noch sehr geschwächt zu sein. »Was wird aus Euch?«
»Ich gehe zu meinen zukünftigen Schwestern ins Kloster«, sagte Rebekka leichthin. »Unsere Wege trennen sich hier. Lebt wohl, Engelbert von der
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