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Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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zwei kleine Augen entgegen, die Lippen waren wulstig, die Haare versteckt unter einem weißen Kopftuch, das wie ein Segel geformt war und bis auf die Schultern herunterhing. Eine Novizin. Der Ordensritter hatte ihr erklärt, dass es innerhalb des Nonnenklosters zwei Stände gab, die an ihrer Tracht zu erkennen waren. Weiße Kopftücher: Novizinnen, schwarze Kopftücher: Schwestern, die ihr Gelübde bereits abgelegt hatten. Je älter die Trägerinnen des schwarzen Kopftuches waren, desto höher ihr Rang im Kloster. Die Oberin musste inzwischen an die achtzig Jahre alt sein. Dass sie noch lebte, grenzte an ein Wunder und wurde mit der Reliquie, die sie hütete, in Verbindung gebracht. Ein Grund, warum das Kloster sie nicht hergeben wollte.
    »Ich heiße Hiltrud. Ich komme aus Trier.«
    »Amalie.« Rebekka hielt inne. Sie hatten lange geübt, damit sie ihre Rolle glaubwürdig spielen konnte. Es waren Stunden gewesen, in denen sie fast vergessen hatte, was für ein Mensch von der Hardenburg war. Mit unendlicher Geduld hatte er ihr beigebracht, wie man einen anderen täuschen konnte, wenn man nur selbst davon überzeugt war, dass alles, was man tat, der Wahrheit entsprach. Jetzt musste sie diese Hiltrud glauben machen, dass sie sich nur bruchstückhaft an die Vergangenheit erinnerte.
    Rebekka schluchzte. »Aber ich weiß nicht mehr, woher ich komme.« Sie schlug die Hände vors Gesicht. »Ich weiß gar nichts mehr.«
    Hiltrud nahm sie in die Arme. »Ruhig, Amalie. Ganz ruhig. Das ist normal. Es vergeht mit der Zeit. Ihr habt einen Schlag auf den Kopf bekommen. Eure Erinnerungen werden bald wieder zurückkehren. Ihr seid hier sicher und könnt so lange bleiben, wie Ihr wollt. Die Männer, die Euch verfolgt haben, sind verschwunden. Stellt Euch vor, sie sind vor uns Frauen geflüchtet. Was sagt Ihr dazu?«
    Rebekka ergriff Hiltruds Hände. »Männer? Was für Männer? Was ist mit mir geschehen?«
    Hiltrud wartete einen Moment, dann sagte sie: »Ihr seid auf einem Pferd an unsere Pforte gekommen. Raubritter haben Euch verfolgt, aber sie haben kehrtgemacht, als unsere Schwestern alle zum Eingang gerannt sind.« Sie machte ihre Hände frei und tupfte weiter Rebekkas Stirn ab. »Das wird eine ganz schön dicke Beule. Ihr habt Glück gehabt. Wahrscheinlich habt Ihr gekämpft wie eine Bärenmutter, um Eure Ehre zu verteidigen. Recht so! Ha! Denen haben wir es gezeigt. Sie werden ihre Lektion gelernt haben. Die Schwester Oberin hat sofort unseren Abt verständigt, und der wiederum wollte den Hauptmann der Stadtwache alarmieren. Inzwischen ist sicher schon ein Suchtrupp unterwegs.«
    »Wie lange bin ich …«
    »Ihr habt eine ganze Nacht und einen ganzen Tag geschlafen. Wir haben soeben die Komplet gebetet.«
    Rebekka musste einen Moment nachdenken. Die Komplet war das Nachtgebet, der Abschied vom Tag. So lange war sie ohnmächtig gewesen? Aber warum war sie nicht gleich nach dem Schlag mit dem Stein umgefallen? Auf jeden Fall hatte es gut gepasst, sie hatte es nicht spielen müssen.
    »Es ist schon wieder Nacht? Heilige Maria! So viele Stunden war ich ohne Bewusstsein?«
    Hiltrud schaute sie ernst an. »Wir haben befürchtet, dass Ihr es nicht überlebt. Die Schwester Oberin hat fünf Ave Maria für Euch gesprochen, und der Herr hat uns erhört.«
    Rebekka bekreuzigte sich, Hiltrud folgte mit kurzer Verzögerung. »Du bist auf jeden Fall eine Christin«, sagte Hiltrud, und ein Schatten huschte über ihr Gesicht.
    Rebekka schluckte. Hatten die Nonnen etwa etwas anderes vermutet? Hatten sie sie für eine flüchtige Jüdin gehalten? Möglich wäre es. Sie versuchte, Hiltrud in ein unverfängliches Gespräch zu verwickeln. »Wie lange seid Ihr schon hier im Kloster, Hiltrud?«
    »Noch nicht lange.« Die junge Frau senkte den Blick. »Erst seit dem Sommer.« Ein weiterer Schatten huschte über ihr Gesicht, noch dunkler als der erste, aber sofort setzte sie wieder ein Lächeln auf. »Die Schwestern sind sehr gut zu mir. Ich lerne schreiben, stellt Euch das vor! Damit ich helfen kann, das Wort Gottes und das Wissen über die Heilkraft seiner Schöpfung zu verbreiten. Die Schwester Oberin ist nämlich eine große Heilerin. Sie kennt jedes Kraut und weiß, wie es in der Krankenpflege einzusetzen ist.«
    »Wie schön!«
    »Könnt Ihr schreiben?«, fragte Hiltrud, und Rebekka entging nicht der lauernde Unterton.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete Rebekka, seufzte und ließ den Kopf hängen.
    »Verzeiht mir. Ich sollte Euch nicht mit Fragen

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