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Die Residenz des Doktor Rattazzi: Roman (German Edition)

Die Residenz des Doktor Rattazzi: Roman (German Edition)

Titel: Die Residenz des Doktor Rattazzi: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ugo Riccarelli
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Anekdote einstreuend, in der eine Stadt oder ein Datum vorkamen.
    Mit Fosco an seiner Seite, dem schüchternen Gefährten dieser Initiationsreise, war Beniamino durch die Welt der Irren gewandert und hatte versucht, die Wucht der Realität, die die Mauern des Irrenhauses umschlossen, bewahrten und seinen Bewohnern zurückgaben, mit Worten abzuschwächen. So hatte er, während der Neuankömmling in sich zusammengekrümmt auf einer Ecke der Matratze saß, die Decken seiner Bettstatt sorgfältig glattgestrichen, ihm das Stück Seife und das Handtuch auf dem Nachttisch gezeigt und unterdessen von den zahllosen Bettlaken erzählt, die Aida im Graben waschen musste, bevor und nachdem das Dreitagefieber ihren Mann wie ein Blitz aus dem Leben gerissen hatte. Auch von den Kaninchenställen hatte er erzählt und von diesem Unglücksmenschen Castellucci, der ihm die Promotion und ein Bein ruiniert hatte.
    Gemeinsam waren sie in die Waschräume gegangen, wo sie beobachteten, wie das kalte Wasser rasch aus den Hähnen in die Waschbecken floss, rascher als die Geschichten, mit denen Beniamino versuchte, den an die Kachelwand lehnenden, widerspenstigen Albatros aus seiner Abkapselung zu holen. Schließlich waren sie auf den Hof gegangen, um eine Luft zu atmen, die nicht von den Ausdünstungen der Träume und Essensreste geschwängert war, und dort war Beniamino bis zum Maschendrahtzaun gegangen und hatte Fosco sein Elternhaus gezeigt, das seit so vielen Jahren unverändert hinter dem Rosenbusch stand, ohne dass man ihm anmerkte, ob es an den Vorgängen auf der anderen Seite der Grenze Anteil nahm, warum auch, enthielt es doch selbst schon genug Unglück, von Elemiras Verzweiflung bis zu den Erinnerungen, die Aida überall herumliegen ließ, wie ein unordentliches Kind seine Spielsachen.
    Schritt für Schritt und mit jeder neuen Geschichte schien Foscos Misstrauen einem Anschein von Ruhe zu weichen, die Beniaminos Worte langsam herstellten, großzügige, liebevolle Worte wie die Umarmung, mit der er Fosco an diesem traurigen Ort empfangen hatte. Ermutigt durch dieses Auftauen, hatte Beniamino seinen Albatros auf eine Bank neben dem Rosenbusch geführt, denn er wollte ihm die Rosen zeigen, damit er den Duft und den Geschmack der Blüten erlebte, mit denen die Verrückten ihre Glückseligkeit nährten.
    Während Beniamino von seiner Kindheit erzählte, in der er, an den Maschendraht gelehnt, diese Beseligung so oft heimlich beobachtet hatte, bemerkte er, dass ein Mann neben ihnen auf der Bank saß, ein Mann im weißen Kittel, der wie Fosco stumm und aufmerksam den Worten lauschte, mit denen Beniamino die Angst zu besänftigen versuchte. Der Mann sah vornehm aus, zwei vergoldete Füllfederhalter schauten aus seiner Brusttasche hervor, vor allem aber trug er das emaillierte Schildchen mit dem Wappen der Irrenanstalt. Er war Arzt.
    Beniamino zuckte zusammen und verstummte. Schon mehrmals war er von den Schwestern und von älteren Kollegen getadelt worden, weil er ihrer Ansicht nach durch sein Reden zuviel Zeit mit den Verrückten verlor. Gewiss, die Absicht, zu besänftigen und zu beruhigen, was schon im nächsten Augenblick explodieren konnte, war lobenswert, doch man durfte nicht Stunden mit Märchen und Hirngespinsten vergeuden, wenn es Dutzende anderer verlorener Seelen gab, außerdem Säle und Küchen, Flure und Sprechzimmer aufzuräumen und zu putzen galt.
    So war Beniamino im ersten Augenblick darauf gefasst, dass diesem interessierten Blick einer der bekannten Vorwürfe folgen würde. Doch als das Schweigen anhielt, setzte der Mann, noch bevor es sich in Verlegenheit verwandeln konnte, zu einem breiten Lächeln an und begann zu sprechen, und Beniamino war sofort begeistert von der liebenswürdigen Art, mit der er sprach.
    »Der Duft mancher Blumen erinnert mich an den Geruch von Fleisch«, sagte er, zupfte ein paar Blütenblätter ab, die er zwischen den Fingern zerrieb und sich unter die Nase hielt, und atmete dann mit sichtlicher Befriedigung tief ein.
    »Wenn wir die Augen schließen, uns gegen das Treiben ringsumher abschotten und uns auch nur einen Moment lang in den Duft und das Wohlgefühl der Berührung versenken, können wir uns wirklich von allem entfernen«, und damit schloss er die Lider und fuhr konzentriert fort, die Reste der schon zerrissenen Blütenblätter zwischen den Fingern zu reiben und daran zu schnuppern.
    »In dem Haus, wo ich als Kind lebte«, sagte er, »gab es im Garten einen Pfad, von Blumen gesäumt,

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