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Die Residenz des Doktor Rattazzi: Roman (German Edition)

Die Residenz des Doktor Rattazzi: Roman (German Edition)

Titel: Die Residenz des Doktor Rattazzi: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ugo Riccarelli
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Arme fest. Mit seinen geschlossenen Augen, den zusammengepressten Lippen und dem Zittern, das ihn fortwährend schüttelte, erschien dieser arme Junge wirklich wie ein Wrack in der Gewalt einer gigantischen Welle. Beniamino hielt ihn fest und dachte an eine Zeit zurück, als seine kleine Schwester so starke Fieberkrämpfe hatte, dass Elemira schon fürchtete, sie müsse sterben wie ihr Vater Antonio. Beniamino hatte die ganze Nacht bei Mara gesessen und über das Zittern gewacht, das die arme Kleine am ganzen Körper schüttelte, bis er gegen Morgen, von Müdigkeit und Verzweiflung übermannt, in einen Halbschlaf gefallen war und geträumt hatte, er könne die Krankheit besiegen, indem er sie zum besten hielt und Mara mit den Spielen ablenkte, mit denen die Geschwister sich oft im Garten amüsierten. Er hatte seiner Schwester in die Augen geblickt, und während er leise ihren Namen rief, hatte er begonnen, mit den Augen zu rollen und Grimassen zu schneiden.
    Mara, vielleicht von dem vertrauten Klang seiner Stimme angelockt, hatte die Augen geöffnet und das von Grimassen verzerrte Gesicht ihres Bruders erblickt. Und wie sie es beim Spielen tat, hatte sie gelächelt und Beniaminos Fratzen erwidert, indem sie ihm die Zunge herausstreckte, für ihn ein deutliches Zeichen, dass seine Schwester ins Leben zurückgekehrt war.
    Und so versuchte Beniamino, ohne recht zu wissen warum, an diesem Morgen, an dem Fosco sich in seiner finsteren Ödnis verirrt hatte, den verzerrten Gesichtsausdruck des gepeinigten Jungen zu imitieren. Als dieser plötzlich die Augen aufschlug, weil er die Stimme von Doktor Rattazzi gehört hatte, der ihn ansprach, sah er das von Fratzen entstellte Gesicht seines Aufsehers vor sich.
    Zunächst blieb alles in der Schwebe. Die Blicke der beiden verknoteten sich für lange Zeit, aber Beniamino hatte das deutliche Gefühl, dass es ihm gelungen war, den Albatros irgendwie zu ergreifen, so wie ein Retter jemanden am Arm packen würde, der in einem Wasserstrudel zu ertrinken droht. Von diesem Zugriff ermutigt, fuhr er mit seinem Spiel fort, steigerte es fast bis zur Provokation: Er kam seinem Gegenüber sehr nahe, streckte den Kopf vor und wieder zurück und verzog das Gesicht noch stärker zu einer lächerlichen Mimik, die die gequälten Züge des Patienten nachahmte.
    Und als wäre er just auf diese Weise wieder an die Oberfläche der Wirklichkeit zurückgebracht worden, schaute Fosco sich nun aufmerksamer um. Er sah den leeren Schlafsaal, durch dessen große Fenster die Sonne drang, hörte das Grunzen und Zischen Beniaminos, der das Gesicht zu immer neuen Grimassen verzog. Noch zog das Dunkel in Foscos Inneren mit dem wütenden Strömen seiner Wasser ihn mächtig an. Auf der einen Seite war die Schwärze des Abgrunds, auf der anderen das Licht und die Faxen seines Aufsehers, die nach ihm riefen. Da seufzte Fosco tief auf, stellte sich am Ufer des reißenden Flusses auf die Füße und hielt sich an diesen Grimassen fest. Er streckte die Zunge heraus, verzog die Lippen, riss die Augen auf und stieß schließlich einen Schrei aus, den er durch den Saal hallen, an Wänden und Betten abprallen und zu sich zurückkehren hörte, als würde er ihn umarmen. Bestärkt durch diese Umarmung, antwortete er noch eifriger mit Fratzen auf die Mimik seines Aufsehers und stieß weiter seine befreienden Schreie aus, bis sie die Leere des Schlafsaals endlich zu füllen begannen.

D AS E CHO DER Schreie, mit denen Fosco an jenem Morgen an die Oberfläche der Wirklichkeit zurückkehrte, prägte sich Beniamino unauslöschlich ein. Es war, als hätte er durch dieses unfreiwillige Spiel eine Art Tür zu den Himmeln entdeckt, an denen sein Albatros Flugversuche machte, unordentliche, unbeholfene Versuche, genau wie der hinkende Gang, den der Castellucci ihm verpasst hatte. Jenes unbestimmte, mysteriöse Gefühl, das Beniamino immer verspürt hatte, wenn er die Irren von seinem Garten aus beobachtete, fand in seiner ungewöhnlichen Beziehung zu Fosco eine Möglichkeit, sich zu entfalten, zu etwas noch nicht ganz Klarem, aber Konkretem und Realem zu werden. Und dass es konkret war, wurde ihm von dem Interesse bestätigt, das Doktor Rattazzi an jenen Ereignissen im Schlafsaal bekundete.
    Rattazzi hatte beeindruckt, wie es Beniamino gelungen war, mit Fosco in seiner Verzweiflung Kontakt aufzunehmen, denn es sei ein Beweis dafür, sagte er Beniamino in seinem ein wenig geheimnisvollen Tonfall, dass wir zu oft versäumen, Gefühl und

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