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Die Residenz des Doktor Rattazzi: Roman (German Edition)

Die Residenz des Doktor Rattazzi: Roman (German Edition)

Titel: Die Residenz des Doktor Rattazzi: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ugo Riccarelli
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Nur Hoffnung.
    Italien wurde unterdessen von ganz anderen Hoffnungen in Aufruhr versetzt. Der Diktator hatte den Krieg angekündigt, als er von einem Balkon zu der jubelnden Menge schrie. Diese Verheißung zukünftigen Unglücks wurde mit lautem Lachen und Freudenschreien wie auf einem Dorffest aufgenommen. Zudem hatte die Propaganda des Regimes überall die Vorstellung verbreitet, dass es sich um eine blitzschnelle Aktion handeln würde, fast wie ein einziger, rascher Streich mit dem Rasiermesser, kurz, um ein einfaches Rezept, mit dem sich schnell ein schmackhaftes Gericht zubereiten ließ, zum günstigen Preis von höchstens einer Handvoll Toter für den Ruhm des Vaterlands.
    Die ersten Monate der Kampfhandlungen wurden getragen von der Vorfreude auf einen Sieg, der garantiert und selbstverständlich erschien. Die Frontlinien, wo sich eventuell ein paar unangenehme Todesfälle ereignen konnten, waren Lichtjahre entfernt, und ihre Realität zeigte sich nur am Aufbruch junger Soldaten, der das friedliche Leben in der Provinz um ein paar Dutzend laute Stimmen ärmer machte.
    Beniamino für seinen Teil hatte sich nie anstecken lassen von der Begeisterung über etwas, was Doktor Rattazzi ihm gegenüber mehrmals als ein bloßes Gemetzel bezeichnet hatte.
    »Denk immer daran«, sagte er, wenn das Thema aufkam, »der Krieg gehorcht nur dem Todestrieb, und der ist der schärfste Gegensatz zu allem, was dem Leben dient. Dieser Trieb entfesselt meist das Schlechteste, das wir in uns verborgen halten, und, glaub mir, verglichen mit diesem Schlechtesten ist noch der grässlichste Alptraum ein Spaziergang, A la guerre comme à la guerre ist ein Sprichwort, bei dem es mir kalt den Rücken hinunterläuft«, schloss er dann jedesmal.
    Beniamino verstand auch die Aufregung des größten Teils seiner Freunde nicht, die im Aufbruch an die Front eine Gelegenheit zu heroischen Taten sahen. Seine Arbeit hatte ihn gelehrt, dass es ganz andere Bedürfnisse, andere Notwendigkeiten gab. Zum Beispiel die Krankheit, die ihn jeden Tag umgab, dachte er, ja, die könnte Gelegenheit zum Heldentum geben – wenn es gelang, das verwickelte Knäuel des Gehirns eines Irren aufzudröseln, in einen dieser Köpfe zu greifen und endlich den Keim herauszureißen, der die Gedanken faulen ließ, die Körper erschütterte, den Kranken das Leben zur Hölle machte.
    Darum hatte Beniamino auch begonnen, die Grätsche, die ihm das Bein gebrochen hatte, in einem anderen Licht zu sehen. Der Castellucci, der jetzt keck an die Front marschierte, hatte ihm zusammen mit dem quälenden hüftlahmen Gang auch die Befreiung vom Wehrdienst geschenkt.
    Außerdem stand Beniamino schon an seiner eigenen Front: sie verlief zwischen den Mauern des Irrenhauses, dem unergründlichen Himmel von Professor Cavani und der Finsternis, in die Fosco gesaugt wurde.
    Eines Morgens war der Junge umnachtet von bösen Träumen und Eindrücken aufgewacht. An diesem Tag beherrschte die Krankheit ihn ganz und gar. Sie hatte in ihm jede Sicherheit, jeden Bezugspunkt ausgelöscht. Er besaß keinen Namen mehr, keinen Körper mehr, nichts erkannte er wieder außer dem metallischen Geruch der Angst, die ihn von innen auffraß. Starr vor Entsetzen blieb er im Bett liegen, in kurzen Abständen von einem erbarmungswürdigen Zittern geschüttelt.
    Als Beniamino ihn in diesem Zustand sah, hatte er darauf bestanden, ein Weilchen bei ihm bleiben zu dürfen, und deshalb mit Bruno gestritten, einem Aufseher, der Fosco sofort die Riemen anlegen und nach unten gehen wollte, um andere Arbeiten zu erledigen. Erregte Vorwürfe flogen hin und her, die Stimmen wurden lauter, und erst das Eintreffen von Doktor Rattazzi setzte dem Streit ein Ende.
    Unterdessen spürte Fosco in seinem Inneren eine ungeheure Leere, in der ein sehr starkes Feuer brannte. Aber es war ein eisiges, dunkles Feuer, schwarz wie Pech und schwer wie Marmor, etwas, was sich auf seinen Brustkorb gesetzt hatte und ihm den Atem nahm, ihn am Sprechen hinderte. In dieser Finsternis war niemand, der ihm helfen konnte. Er erinnerte sich an kein einziges Gesicht, keinen Namen. Er sah nur das Feuer, das alles verbrannte, und den Abgrund, in den alles stürzte.
    Mitten in dieser Einöde aus Düsternis hörte Fosco weit entfernt eine Stimme. Mühsam öffnete er die Augen, sah Beniamino und Doktor Rattazzi, und wahrscheinlich brachte dieser Anblick ihn zu dem vertrauten Spiel mit den Blütenblättern zurück, das ihm so gefiel.
    Beniamino hielt Foscos

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