Die Rettung
formten ganz deutlich zwei Worte. »Hilf mir!« Am liebsten hätte Dylan Artair aus dem Raum geschickt, um in Ruhe zu versuchen, die Pantomime der Fee zu verstehen, aber er wusste, dass der Grünschnabel ihn niemals allein hier zurücklassen würde. Vermutlich dachte er, Dylan wäre hinter denselben Urkunden her wie er - Papieren, die sich wahrscheinlich ohnehin längst in Malcolms Händen befanden.
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Gracie hat sich gewundert, warum du nicht zum Essen erschienen bist. Alle in der Burg haben dich vermisst.«
Artair wurde noch blasser. Seine Augen funkelten. »Dann sollte ich wohl besser in die Halle gehen, damit sie beruhigt sind.«
»Allerdings.« Dylan öffnete die Tür, ließ Artair vorangehen, zögerte dann und warf noch einen letzten Blick auf den Gobelin. Sinann flehte ihn immer noch an, ihr zu helfen, aber ihm blieb nichts anderes übrig, als Artair zu folgen und die Tür hinter sich zu schließen.
In der großen Halle setzte sich Artair zum Essen nieder, ließ aber Dylan, der auf die Tür zum Burghof zuging, keinen Augenblick aus den Augen. Seufzend verwarf dieser endgültig den Gedanken, sich heimlich ins Arbeitszimmer zurückzuschleichen.
Am anderen Ende des Raumes ertönte ein lautes Quietschen; der Lieblingslaut seiner Tochter. Doch dann rief sie klar und deutlich: »Pa! Paaa!« Verblüfft blieb er stehen und drehte sich um.
Sile kam zwischen den Tischen hindurch auf ihn zugerannt. »Pa!« Er kniete nieder, um sie aufzufangen, und sie patschte mit beiden Händchen in sein Gesicht, bevor sie ihm einen feuchten Kuss auf die Wange drückte und kichernd wieder zu ihrem Platz lief. Alle sahen ihr grinsend nach.
Dylan wurde das Herz schwer, während er sie beobachtete. Er verwünschte den Umstand, dass er seine Kinder gerade jetzt allein lassen musste. Sile krabbelte auf ihre Bank und widmete sich wieder ihrer Breischüssel. Dylan war nach Lachen und Weinen zugleich zumute. Seine kleine Tochter hatte soeben ihr erstes Wort gesprochen.
Schließlich riss er sich zusammen, wandte sich ab und verließ die große Halle, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Es war schon dunkel, als er seinen Hof erreichte. Vorsichtig zog er das Rapier, den Kavalleriesäbel und das Breitschwert aus dem Strohdach seines Hauses. Er hatte die Waffen zum Schutz vor Feuchtigkeit fest in Wachstuch eingewickelt und sie so tief wie möglich in das Stroh geschoben, doch als er die Klingen untersuchte, entdeckte er dennoch überall kleine Rostflecken. Dylan hasste es, gute Waffen verkommen zu lassen. Am liebsten hätte er sie wie früher daheim in Tennessee in Schaukästen aufbewahrt, um sie zu bewundern statt sie zu gebrauchen. Seufzend setzte er sich an den Tisch, um die Klingen zu schärfen und zu polieren.
Das Breitschwert wollte er selbst in der Schlacht tragen, es hatte ihm zwei Jahre lang gute Dienste geleistet und lag ausgezeichnet in der Hand. Rapier und Säbel waren für Robin und Dùghlas bestimmt, die seit den Entwaffnungen von 1716 keine eigenen Schwerter mehr besaßen. Diejenigen, die ihre Waffen noch rechtzeitig in Sicherheit gebracht hatten, würden sie jetzt aus ihren Verstecken holen; die Männer, denen nur ihre Dolche geblieben waren, mussten sich zusätzlich mit Mistgabeln und anderen Geräten behelfen, die scharf und schwer genug waren, um als tödliche Waffen zu dienen.
Dylan zog gerade den Wetzstein über die Klinge seines Breitschwertes, als Sarah das Haus betrat. Erschrocken fuhr er zusammen. Sie musste schon einen sehr triftigen Grund haben, um nach Einbruch der Dunkelheit unverhofft bei ihm aufzutauchen. Sie schloss die Tür hinter sich, dabei hielt sie eine Hand fest gegen ihre Magengegend gepresst. Anscheinend verbarg sie einen größeren Gegenstand unter ihrem Umhang.
Mit dem Schwert in der Hand erhob er sich. »Sarah, ist mit den Kindern alles in Ordnung?«
Sie nickte. »Ich bin aus einem anderen Grund hier.«
Dylan entspannte sich ein wenig, legte das Schwert auf den Tisch und sah sie an. »Dann freue ich mich umso mehr, dich zu sehen.« Seine Neugier war geweckt. Es sah Sarah gar nicht ähnlich, einfach so hereinzuschneien.
Sarah lächelte. »Ich habe hier etwas für dich.« Sie schlug ihren Umhang zurück und brachte eine alte Tartsche zum Vorschein - einen mit Leder bezogenen und mit Eisennägeln be-schlagenen Holzschild. Das Leder war dunkel vor Alter und wies eine Reihe tiefer Kerben auf, die verrieten, dass der Schild sich schon in so mancher Schlacht bewährt
Weitere Kostenlose Bücher